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: Was ihr da macht, ist Staatsversagen!

Weil es einen halben Tag geregnet hat, ist jetzt offiziell Herbst. Es gilt, den Sommer einzumotten, egal, ob noch mal Niederschlag kommt oder nicht. Der Bezirk bescheidet: Ende der Gießsaison, die Baumbewässerungssäcke sollen zurückgegeben werden. Wahrscheinlich treibt dauerhafte Berieselung mit Hunde-Urin das resilienteste Plastik in die Porösität. Also öffnen wir die Reißverschlüsse der 40 von uns montierten Säcke und spritzen sie mit den Feuerwehrschläuchen von der Spielstraße ab. Erstaunlich, wie gewandt wir die stinkenden Dinger mittlerweile hinter uns herziehen und wie streetsmart die Kinder durch die Fontänen hüpfen, die aus den Schlauchlöchern schießen. Sie werden unauslöschliche Erinnerungen an die Zeit des Klimawandels haben.

Die Trinker vorm Trinkerkiosk – Ex-Hausbesetzer der ersten Stunde – schütteln die Köpfe und rufen mit blutunterlaufenen Augen: „Was ihr da macht, ist Staatsversagen!“ Nachdem wir Hundekot, Kippen, Dönerreste und Haschtütchen von den Säcken gespritzt und alles im Hof zum Trocknen ausgelegt haben, finden wir auch: Im nächsten Jahr darf der Bezirk gern wieder selber gießen. Wir geben dafür pünktlich die Steuererklärung ab.

Am Wochenende bauen wir eine Bank fürs Kinderzimmer. Damit die Kinder einen attraktiven Ort haben, an dem sie lernen können, wenn sie demnächst wieder in Quarantäne müssen. Wir kriegen die Bank nicht fertig, die drei Ikea-Schübe, die untendrunter sollten, stehen unbehaust herum und werden von den Kindern als Särge benutzt, wenn sie Vampir spielen. Sie weißeln sich die Gesichter, wir müssen ihnen Karnevalsblut in die Mundwinkel träufeln, dann beißen sie sich, uns und ihre Stofftiere. Wahrscheinlich kompensieren sie so den allfälligen körperlichen Abstand zu ihren Freund*innen. Ich erzähle ihnen von Vlad Drăculea und schlage vor, dass wir für die Sommerferien (ja, mit Kindern und Coronakonto denkt man darüber früh nach) eine in der Wildnis gelegene Miethütte in Siebenbürgen suchen. Aber da wollen sie nicht hin. Lieber wollen sie nach Mallorca. Fliegen.

Zur Strafe nehme ich sie nicht mit zur Fridays-for-Future-Demo. Ich male mir ein durchgestrichenes „SUV“ mit Edding auf die Einwegmaske und versuche, meiner uralten Gorleben-Trillerpfeife einen Ton zu entlocken. Ich stehe auf der Straße des 17. Juni in Regenhose auf einem mit Mehl markierten Punkt („Dinkelmehl!“, ruft die Ordnerin stolz) und höre mir die intersektional gestählten jungen Menschen auf der Bühne an. Am Abend sagen die Kinder, in der Schule hätten sie „Umwelttag“ gehabt. Fasziniert berichten sie, was der Umweltpädagoge sie gelehrt hat: Fluchttiere haben die Augen seitlich am Kopf, wir Menschen aber – da leuchten die Kinderaugen – gucken nach vorne. Fluchttier, du Opfer!

Jetzt naht der Tag der Clubkultur. Showcases unter Einhaltung der Hygiene- und Sicherheitsbestimmungen, Klaus Lederer verteilt Geld dazu. Ich hätte mir für den 3. Oktober zum Zweck der antifaschistischen Prävention noch andere Signale gewünscht. Düsseldorf hätte ich das „D“ am Auto weggenommen und es Dresden gegeben. Die Postleitzahlen hätte ich neu verteilt. Ohne eine demütigende Nullnummer vorne dran wählt kein Mensch AfD, ist denn in 30 Jahren noch niemand auf diesen Zusammenhang gekommen? Kirsten Riesselmann