PETER UNFRIED über CHARTS : Die Übermacht des Animalischen
Wahltagebuch (IV): Auch in der Toskana gibt es nur ein Thema – abnormale Pobacken
FORTE DEI MARMI. In diesen Tagen gibt es in der Toskana praktisch nur ein Thema. Jedenfalls bei uns. Die Neuwahl? Viel besser: abnormale Pobacken. Das liegt möglicherweise daran, dass zwei meiner Reisebegleiter weder den Corriere della Sera noch die SZ mit dem Arsch anschauen. Sondern nur nach Bild greifen. Dauernd. Und ausschließlich.
Wegen des Sportteils, sagen sie. Nein, das war jetzt ein Witz. Meine Reisebegleiter sagen gar nichts. Sie wissen nicht, dass man sich eigentlich einen offiziellen Vorwand suchen muss. Zum Beispiel: Muss leider – aus beruflichen Gründen. Oder: Beschwöre im Sinne Schillers die Übermacht des Animalischen, Schlechten herauf, um das Moralische, Bessere aus der Reserve zu locken. Oder: Scheiß drauf, bin im Urlaub und gönne mir was.
Nee, sie sind vier und sechs und schauen Bild in aller Unschuld. Weil da nicht nur alte Männer abgebildet sind, sondern die Sachen, die sie interessieren und die für sie relevant sind. Tiere. Böse Unfälle. Alte Blondinenwitze. Berühmte Fußballer. Schöne Prinzessinnen. Ich weiß noch nicht, wie ich die Entwicklung beurteilen soll. Es ergeben sich da aber einige spannende Fragen. Etwa: Sind Kinder im Vorschulalter womöglich eine potenzielle Zielgruppe für Printmedien? Oder taugen sie zumindest, den rapiden Auflagenschwund von Bild in der Gruppe derer zu kompensieren, die schon lesen gelernt haben? Fakt ist: Früher sinnierten meine Reisebegleiter über Albert Einstein, das Bundesverfassungsgericht und darüber, ob Onkel Einar in Astrid Lindgrens „Meisterdetektiv Blomquist“ sich am Ende als Dieb herausstellen wird. Jetzt diskutieren sie, ob Kahn wirklich noch bis 40 weitermachen darf, wo er doch jetzt schon keinen Ball mehr hält. Erzählen stundenlang, was eine Blondine zum Polizisten sagt, der ihren Führerschein sehen will. Besprechen, was wohl Mutter Caroline macht, wenn sie morgens aus der Zeitung erfährt, dass ihre Prinzessinnentochter mit einem feschen jungen Mann knutschi-knutschi macht, wie das heutzutage in Hortkreisen heißt. Sorgen sich um die Zukunft von Kindern, denen Hunde die Gesichter zerbissen haben.
Vor ein paar Tagen war nun ebendiese junge, scheinbar kerngesunde Frau zu sehen, die bitterlich Klage führte: Sie habe eine hängende Pobacke. Zum Beweis zeigte sie das fragliche Teil her. Und zum Zwecke des besseren Vergleichs die andere Backe und den ganzen Rest gleich mit. Das arme Ding! Man sah es zwar nicht richtig. Aber wenn sie es sagt, muss es wirklich schlimm sein. Die Reisebegleiter bedauerten sie wegen dieser monströsen Deformation im weiteren Tagesverlauf ausgiebigst. Seitdem nennen sie Onkel Einar „Onkel Einarsch“ und schreien einmal täglich über den Strand von Forte dei Marmi: „Da ist wieder ein Po in der Zeitung!“ Einmal versuchte ich, sie mit meinem Bild-Lieblingsthema abzulenken. Es heißt: „Urlaubsabzocke“.– „Hey, hört euch das an. Frikadelle im Hunsrück: 4,50 Euro. Wer soll denn das bezahlen? Und wovon?“
Schweigen.– „Buntwäsche im Waschsalon von Tarragona: 10 Euro. Das ist doch Globalisierungswahnsinn.“
Da drehen sie sich in ihren 33-Euro-am-Tag-Liegestühlen gelangweilt weg, um weiter Pobacken zu evaluieren. Nur zum Beispiel: Bei unserem Bademeister hängen beide Backen. Wenn er wild rumpfeift, weil jemand die Wassergrenze zur nächsten Badeanstalt überschwommen hat, sieht man es besonders gut.
Heute früh sitzen wir vor dem Caffè della Piazza in Seravezza rum. Wie sich das gehört, läuft im Radio Pink Floyd: „Wish you were here“. Und ich sage: „Psst. Reisebegleiter, jetzt seht euch mal diesen Po an. Keine Anomalitäten. Da hängt diesmal wirklich nichts.“ Darauf die Reisebegleiter knapp: „Wozu ist der dann in der Zeitung?“ Seitdem ahne ich, dass sie schon nicht mehr ganz so unschuldig sind, wie ich dachte. Aber was tun? Man kann ihnen ja das Teufelszeug nicht einfach autoritär wegnehmen.
Warum nicht? Wegen der 68er.
Aber eins sage ich Ihnen: Wenn die demnächst überwunden sind, dann greife ich durch. Knallhart.
Fragen zu Pobacken? kolumne@taz.de MORGEN: Bernhard Pötter über KINDER