piwik no script img

Archiv-Artikel

Ein Bayer, der nur in Bayern gut ist

AUS MÜNCHENJÖRG SCHALLENBERG

Edmund Stoiber wippt. Während er in die Mikrofone spricht, stellt er sich leicht auf die Zehenspitzen, schiebt den Körper nach vorn, fällt auf die Sohle zurück, steht einen Moment still, dann federt er von Neuem los. Es gibt Gutes zu verkünden, und die Begeisterung darüber scheint den bayerischen Ministerpräsidenten fast aus den schwarz glänzenden Schuhen zu heben.

Sein Bayern ist wieder mal Erster geworden, in diesem Fall bei der neuen Pisa-Studie. Eigentlich könnte Stoiber an diesem Freitagmittag im hellen, lichtdurchfluteten Flur im vierten Stock der bayerischen Staatskanzlei also zufrieden und gelassen über die erfreulichen Resultate referieren – doch er steht sichtlich unter Spannung. Eilig bellt er die eigenen Erfolge heraus, rüde attackiert er die anderen Bundesländer mit ihren „Verlierermodellen“ – obwohl sich die meisten bei der neuen Studie verbessert haben.

Stoibers Körper steht bei seinem Statement nicht eine Sekunde lang still, und als die letzte Frage beantwortet ist, wendet er sich abrupt auf dem Absatz um und verschwindet eiligst im nächsten Raum. Seine Referenten haben Mühe, hinterherzukommen.

Der Eindruck nach einer knappen Viertelstunde Stoiber pur in diesen Tagen: Er hat keine Ruhe. Er steht mächtig unter Druck. Er ist immer in Bewegung. Er ist auf dem Weg. Fragt sich nur, wohin.

Kurz nachdem Horst Köhler am vergangenen Donnerstag die Auflösung des Bundestags verkündet hatte, trat Stoiber bereits gemeinsam mit Angela Merkel vor die Kameras, um den Wahlkampf inoffiziell zu eröffnen.

Am Morgen danach rief die CSU Edmund Stoiber zu ihrem Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl am 18. September aus. Standesgemäße 96 Prozent der Landesdelegierten hoben ihren Parteivorsitzenden am Freitag in der Münchner Messe auf den Schild. Man könnte das als eindeutiges Signal begreifen: Edmund Stoiber will endlich nach Berlin, will drei Jahre nach seiner gescheiterten Kanzlerkandidatur endlich in die Bundesregierung.

Doch da ist diese Szene, kurz nach der Köhler-Rede, als Merkel und Stoiber gemeinsam vor die Mikrofone treten. Fast ungestüm drängt der Bayer nach vorn – als ihn Merkel mit einer knappen Handbewegung ausbremst. Halt, mein Lieber, bis hierhin und nicht weiter, signalisiert diese Geste. Spitzenkandidat ist eben nicht Kanzlerkandidat.

Es sind Momente wie diese, in denen Stoiber seine volle Fahrt voraus abrupt stoppen muss. Es sind jene Augenblicke, in denen ihm schmerzhaft klar werden dürfte, wie aussichtsreich und wie undankbar zugleich seine Rolle und seine Möglichkeiten in diesen Tagen sind.

Stoiber, der zehn Tage nach der Wahl seinen 64. Geburtstag feiert, könnte bald der zweitmächtigste Politiker im Staat sein. Er kann sich die nächste Etappe seiner bislang glanzvollen politischen Karriere aber auch so richtig ramponieren. Denn es geht inzwischen nicht länger darum, sich nach dem 18. September sein Lieblingspöstchen im Kabinett auszusuchen. Angesichts der jüngsten Umfrageergebnisse samt dem Höhenflug der Linkspartei müssen Union und FDP plötzlich um jeden Zehntelprozentpunkt kämpfen.

Und genau hier ist das Problem. Eine harte Auseinandersetzung mit unbequemen Gegnern ist Stoiber fremd. Nur bei der eigenen Kanzlerkandidatur 2002 musste er so richtig kämpfen und unterlag trotz guter Ausgangsbedingungen. Die Gründe dafür waren sicher nicht allein das Hochwasser und der Krieg im Irak, sondern auch dass Stoiber in den direkten und indirekten Duellen mit Gerhard Schröder und Joschka Fischer oft reichlich blass aussah.

Ähnliches ist dem CSU-Vorsitzenden in Bayern nie passiert. Dort haben ihn stets einflussreiche Parteifreunde protegiert. So lange bis Stoiber genug über die Machtverhältnisse bei den traditionell intriganten Christsozialen gelernt hatte, um 1993 den damaligen Parteivorsitzenden Theo Waigel beim Rennen um die Nachfolge des durch diverse Amigo-Affären angeschlagenen Ministerpräsidenten Max Streibl auszubooten. Tatkräftige Beihilfe leistete damals übrigens ein gewisser Günther Beckstein, der seinen Nürnberger Bezirksverband als Erstes gegen Waigel in Stellung brachte. Die Machtübernahme in Bayern am 28. Mai 1993 bedeutete zugleich den vorläufigen Höhepunkt im Lebenslauf von Edmund Stoiber – der im Wesentlichen aus einer CSU-Bilderbuchkarriere besteht.

Als studierter Jurist und Politologe kam Stoiber über die Junge Union 1974 erstmals in den bayerischen Landtag, wobei ihm Max Streibl, dem er zuvor als Umweltminister zugearbeitet hatte, einen guten Wahlkreis zuschanzte. Schnell erwarb sich Stoiber das Vertrauen des allmächtigen Franz Josef Strauß, mit dem ihn, wie er damals stets betonte, eine „nahtlose politische Übereinstimmung“ verband. Unter der Anleitung von FJS stieg der Politkarrierist zum CSU-Generalsekretär und Chef der Staatskanzlei auf. Als Strauß starb, holte ihn sein alter Förderer Max Streibl 1988 als Innenminister ins bayerische Kabinett. Stoiber war stets zur rechten Zeit an der rechten Stelle und kannte die rechten Leute. Man kann das als politische Kunst begreifen. Man muss aber nicht.

Die Ämter, in die er hineinprotegiert wurde, füllte Stoiber, Aktenfresser und Workaholic zugleich, immer kompetent und brutalstmöglich aus. Als CSU-Generalsekretär nannte man ihn „blondes Fallbeil“, als bayerischer Innenminister stellte er Beckstein locker in den Schatten. Bereits 1988 forderte er eine Verschärfung der Asylpolitik, verantwortete den „Münchner Kessel“ beim Weltwirtschaftsgipfel 1992 und wollte Bürger als speziell trainierte Polizeispitzel zum Schutz der inneren Sicherheit einsetzen. Wer rätselt, für welche Geisteshaltung Stoiber tatsächlich steht – in jener Zeit wird es deutlich. Sein Ausspruch von der „durchrassten Gesellschaft“ geht dann kaum noch als Ausrutscher durch.

Als vergleichsweise aufgeklärter Konservativer inszeniert sich der bayerische Ministerpräsident erst, seit er bundespolitische Ambitionen hegt. Doch diese Rolle liegt ihm nicht, und das kann man spüren. Stoiber, der ernsthaft mit dem Posten des Außenministers liebäugelt, ist weder weltoffen noch weltgewandt. Schlimmer noch: Sobald er die Grenzen des unter seiner Regie bestens geordneten Freistaats überschreitet, gerät der Mann aus Wolfratshausen geradezu zwanghaft ins Dilettieren. So gab Stoiber erst vor ein paar Tagen ein völlig missverständliches Interview, aus dem herauszulesen war, dass er die Arbeitslosenquote von zur Zeit rund 11 auf unter 4 Prozent drücken wolle. Als seinen Beratern klar wurde, welch unhaltbares Versprechen plötzlich in der Welt war, ruderten sie mit wachsweichen Dementis zurück. Das Resultat: Stoiber stand als Depp da. Nicht zum ersten Mal.

Im Bundestagswahlkampf 2002 schüttelten ihn Blackouts und Stotteranfälle zur besten Sendezeit, und dass die von ihm und SPD-Chef Franz Müntefering geleiteten Verhandlungen der Föderalismuskommission scheiterten, soll auch daran gelegen haben, dass der Bayer nicht immer allzu perfekt vorbereitet war. „Stoiber“, sagt ein früherer CSU-Konkurrent, der nicht zitiert werden will, „ist nur in Bayern gut – und eigentlich weiß er das auch.“

Doch was Stoiber momentan wirklich weiß und was er will, bleibt ein Rätsel. Selbst enge Vertraute und jene Journalisten, die der Staatskanzlei nahe stehen, scheinen überfragt. Dass der 63-Jährige im Bund gern mal was werden würde, daran hat er in den vergangenen Jahren keinen Zweifel gelassen.

Doch die Chance seines Lebens hat er mit der Kanzlerkandidatur verspielt, und alles, was jetzt kommt, kann nur schlechter werden – selbst wenn CDU, CSU und FDP am 18. September eine Mehrheit bekommen. Als Superminister in Berlin müsste Stoiber seine Rolle als bayerischer Besserwisser nur allzu schnell aufgeben. Die Zeit, in der er Zweiflern mit tollen Zahlen und Statistiken aus Bayern vor der Nase herumwedeln konnte, wäre dann vorbei. Gute Nachrichten, wie jetzt die Ergebnisse der Pisa-Studie, gäbe es nur noch selten zu verkünden.

Edmund Stoiber könnte, und das weiß er wohl selbst am besten, als Mitglied einer schwarz-gelben Bundesregierung häufig in Erklärungsnot geraten. In solchen Fällen wird sein dynamisches Wippen schnell wie das unruhige Zucken eines Huhnes wirken, das nicht weiß, wo es als nächstes hinpicken soll. Kein schönes Bild. Aber es wird uns wohl nicht erspart bleiben.