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Hilfe, die Rasen­sprenger!

Von unserer Redaktion↓

Die Liste sieht aus wie ein ordentlicher Verfassungsschutzbericht: Martin Sellner von der Identitären Bewegung, der neurechte Publizist Götz Kubitschek und der Verein „Ein Prozent“; die AfD-Promis Weidel, Höcke und Brandner; der verurteilte Holocaust-Leugner Nikolai Nerling, auch bekannt als Volkslehrer; Jürgen Elsässer vom „Compact“-Magazin; der rechtsextreme Rapper Chris Ares und der rechtsextreme Rocker Michael „Lunikoff“ Regener, ehemaliger Sänger der Neonazi-Band „Landser“, die als kriminelle Vereinigung verboten wurde; die NPD und der Dritte Weg – kurzum: Alles, was in der rechten Szene Rang und Namen hat, machte mobil, um am 29. August in Berlin bei den Querdenkern mitzudemonstrieren.

Der Verfassungsschutz aber, angeblich konzipiert als Frühwarnsystem für extremistische Umtriebe, schlägt nicht Alarm. Der Geheimdienstchef entwarnt gar kurz vor der Demo: nur vereinzelt Rechte, kein maßgeblicher Einfluss, Unterwanderung missglückt. Und obwohl Rechtsradikale und Reichsbürger im Netz ganz offen ihre Absicht kommunizieren, das Parlamentsgebäude stürmen zu wollen, stellt die Berliner Polizei am Tag der Ereignisse nur drei Leute vor selbiges, um es zu schützen.

Rechtsextremisten können ihre Vorhaben lang und breit ankündigen, sie können Politiker erschießen, Syna­gogen angreifen und als mordende Terrorbanden durchs Land ziehen – aber sie werden von den deutschen Behörden einfach nicht ernst genommen. Nachdem ein paar Hundert Menschen, viele davon mit Reichskriegsflaggen, in den abgesperrten Sicherheitsbereich vor dem Parlamentsgebäude eingedrungen waren, warnte die Berliner Polizei nicht etwa, dass jetzt Wasserwerfer aufgefahren würden. Für den Fall, dass die Leute nicht freiwillig gehen, twitterte sie: „Gleich gehen dort auch die Rasensprenger an.“ Und wenn sie dann immer noch nicht spuren, geht’s ohne Nachtisch ins Bett! Nein, diesen letzten Satz twitterte die Berliner Polizei nicht, eine Eskalation wollte sie dann doch nicht riskieren.

Dass Rechtsextremisten versuchen, eine Bewegung oder Demonstration zu kapern, ist das eine. Wie die Teilnehmer und Veranstalter sich dazu äußern, das andere. Am Tag danach distanzierte sich die veranstaltende Stuttgarter Initiative „Querdenken 711“. Seine Initiative sei friedlich, sagte Organisator und Stuttgarter OB-Kandidat Michael Ballweg, sie habe mit diesen Protestierenden nichts zu tun.

Schön und gut. Aber wo waren entsprechende Aufrufe der Initiative im Vorfeld und während der Demo? Wenn die Aufrufe aus rechten Zirkeln, zu den Demos zu kommen, bekannt sind, dann muss man sich dazu verhalten.

Entweder man distanziert sich vorab und erklärt bestimmte Gruppen für nicht willkommen.

Oder aber man muss sich den Vorwurf der Rechts­offenheit gefallen lassen. Insbesondere wenn der Quer­denken-Pressesprecher Stephan Bergmann im Netz vor einer Vermischung der Rassen warnt, die absichtlich befördert werde, um den Intelligenzquotienten der weißen Bevölkerung zu senken.

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