Landesregierung rät Flüchtlingen zur Ausreise

Sechs Einrichtungen in NRW bieten seit kurzem eine spezielle Beratung für ausreisewillige Flüchtlinge an – gefördert werden sie vom Land. Flüchtlingsrat: „Das ist vorauseilender Gehorsam gegenüber der Landesregierung“

ESSEN/DÜSSELDORF taz ■ Das Land Nordrhein-Westfalen unterstützt aktiv die Ausreise von Asylbewerbern und Flüchtlingen in deren Heimatland. Das Innenministerium fördert seit Anfang Juli sechs Einrichtungen im Land, die Rückkehrberatungen anbieten. Eine der ersten Stellen hat jetzt die Caritas im Ruhrbistum Essen eingerichtet. Die Zielgruppe der Beratung sind Migranten, „die freiwillig bereit sind“, sich mit einem Leben im Herkunftsland auseinander zu setzen. „Gemeinsam mit den Flüchtlingen werden Perspektiven für eine Rückkehr in Würde entwickelt“, heißt es in einer Pressemitteilung.

Viel Interesse scheint die freiwillige Rückkehrhilfe bei den Flüchtlingen jedoch nicht zu wecken. Bei der Caritas in Essen sind seit Anfang des Monats erst 25 Menschen zur Beratung gekommen, sagt Jürgen Arschinow, Koordinator für Flüchtlingsberatung. „Das Projekt ist ja erst angelaufen.“ Um die neue Einrichtung bekannter zu machen, werbe die Caritas bereits in den klassischen Beratungsstellen und Ausländerämtern.

Als „vorauseilenden Gehorsam“ bezeichnet Stefan Kessler, Vorstandsmitglied im Flüchtlingsrat NRW, das „Vorpreschen“ der Caritas in Essen. Sie würde den neuen Plänen der Landesregierung vorgreifen. Diese hat in ihren Koalitionsvereinbarungen festgelegt, sie werde zukünftig „die Beratung und Betreuung von Asylbewerbern und Flüchtlingen stärker auf eine Rückkehrförderung ausrichten.“ Außerdem wollen CDU und FDP Asylverfahren beschleunigen und „professionalisieren“.

„Es gibt zweifellos eine Neuausrichtung in dieser Frage“, so Kessler. Diese Entwicklung gehe auf die Kosten der Integrationshilfe und der Beratung über ein mögliches Asylverfahren. Noch sei im Doppelhaushalt 2005/2006 für die gesamte Flüchtlingshilfe fünf Millionen Euro vorgesehen – der Etat könnte in den nächsten Haushaltsverhandlungen gekürzt oder an die Vorlage gebunden werden, dass nur noch Rückkehrberatung gefördert wird, befürchtet der Flüchtlingsvertreter.

Doch die Tendenz zur Rückkehrberatung existiert nicht erst, seit CDU und FDP an der Regierung sind. Der bisherige Innenminister Fritz Behrens (SPD) hatte im Januar die Rückkehrhilfe zur neuen Säule der Beratungsarbeit gemacht. Die anderen Säulen bilden die psychosozialen Zentren, die regionalen Flüchtlingsberatungsstellen sowie die Verfahrensberatungen bei den Erstaufnahme-Einrichtungen, den Zentralen Ausländerbehörden (ZAB). Da immer weniger Flüchtlinge Asyl beantragen, wurden ZABs geschlossen. Die Fördergelder, die dadurch frei wurden, steckt die Landesregierung jetzt in die Rückkehrförderung.

Nicht nur bei der Caritas in Essen, auch in Köln, Düsseldorf, Hamm und Borken beraten Wohlfahrtsverbände wie DRK, AWO oder Diakonie potenzielle Rückkehr-Kandidaten. Die Diakonie im Rheinland hat zwei Rückkehrberatungsstellen eingerichtet. Doch Nikolaus Immer, Geschäftsführer für den Integrationsbereich, betont die Einbettung des neuen Dienstes in die allgemeine Flüchtlingsberatung. „Wenn eine Stelle nur noch zur Ausreise rät, wer will da noch hin?“, sagt er. Rückkehrberatung als Bestandteil der Flüchtlingshilfe hält er dennoch für berechtigt. „Angesichts der geringen Anerkennungsquoten bei Asylbewerbern und der etwa 5.000 Abschiebungen im Jahr müssen wir die Betroffenen darüber aufklären, was in Deutschland auf sie zukommen kann“. Die Frage nach einer möglichen Rückkehr müsse aber mit Wiedereingliederungshilfen gekoppelt sein, so Immer. NATALIE WIESMANN