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Archiv-Artikel

Exakt getaktet

Die Audiotour „Berlin Sounds“ schickt Popkultur-Aficionados auf einen Spaziergang zu den Hörenswürdigkeiten von Mitte. Der Soundtrack ist verlässlich, die Geschichten ein bisschen alt – aber die Sache mit der Realitätsschichtung ist das Experiment wert

VON KATHRIN KLETTE

Wenn die Straßenbahn heulend losfährt, müsste man das Geräusch eigentlich mit einem Mikrofon aufnehmen und als Reiseandenken mit nach Hause nehmen. Dieser typische Berliner Sound kann charakteristischer als ein Foto sein, denn jede Straße, jede Stadt hat ihren eigenen Klang.

Die Audiotour „Berlin Sounds“ aus der Reihe „hearwego“ des Megaeins Verlags will den Zuhörer die natürlichen und künstlichen Klänge der Mitte Berlins entdecken lassen. Die CD führt zu den entlegenen Orten, den „Hörenswürdigkeiten“, an denen Klänge entstehen, denn Stadtführungen über das Brandenburger Tor und das Schloss Charlottenburg waren gestern.

Jeder Mensch gestaltet seinen Alltag nach seinem eigenen Rhythmus und spaziert in seinem eigenen Beat. Heute gibt mir Anja Schneider den Takt vor, die Sprecherin der Tour. Beim frei stehenden Baum auf dem Platz am Hackeschen Markt drücke ich auf „Play“ und laufe los. Die DJane ist selbst Produzentin und moderiert bei Radio Fritz die Clubmusik-Sendung „Dance Under The Blue Moon“. Ihre Stimme ist warm, weich und angenehm. Mit ihr gehe ich gerne los und lasse sie meinen Weg bestimmen. Die einstündige Tour, die von drei Musikwissenschaftlern geschrieben und konzipiert wurde, führt dahin, wo künstliche Klänge wie Audiologos und elektronische Musik entstehen. Die Häuser sind oft so unscheinbar, dass man in ihnen bestenfalls leer stehende Wohnungen vermutet hätte. So befand sich der Club WMF einmal in einem flachen rußgeschwärzten Häuserblock in einer ruhigen Straße nahe der Museumsinsel. Ebenso unauffällig erscheint das graue Haus, in dem die VJs des Designbüros Pfadfinderei die Videos produzieren, die in Clubs gezeigt werden.

Als mir Anja Schneider in der Neuen Schönhauser Straße von der Firma Audioforce erzählt, bleibe ich stehen, um zuzuhören. Ein Fehler, wie ich bald merke, denn die Sprecherin fragt mich, ob ich schon an der Ampel angekommen bin. Welche Ampel? Ich hätte nicht stehen bleiben dürfen. Die Tour experimentiert mit verschiedenen Rhythmen und ist dennoch genau getaktet: Ein spezieller Beat gibt zu Beginn das Schritttempo vor, in dem man laufen muss. Passt man seinen Schritt exakt dem Takt an, ist man zur rechten Zeit am rechten Ort. Ein faszinierendes Ergebnis, obwohl man sich nur synchron zur Musik bewegt.

Als ich in der Rosenthaler Straße stehe und mir meine DJane vom Club Delicious Doughnuts erzählt, komme ich durcheinander. Ich überquere die Straße, da ich mir den Club aus der Nähe ansehen will. Bald sagt mir die Stimme, dass ich weiterlaufen soll und auf der anderen Straßenseite ein Glasgebäude sehen müsste. Von meiner Position aus sehe ich nur eine leere Fläche. Hektisch suche ich nach der Verpackung der CD und blicke dankbar auf den Stadtplan, auf dem die Tour aufgezeichnet ist. Aha, ich bin auf der falschen Straßenseite. Obwohl die Wegbeschreibungen gut sind, muss man sich dennoch genau an die Vorgaben halten, will man sich nicht verlaufen.

Wenn mir Anja Schneider Geschichten über die Subkultur erzählt, entsteht in meinem Kopf ein Film: Wenn ich höre, wie die Band Jazzanova im Delicious Doughnuts ihre Platten auflegte, tauchen Bilder von Clubabenden, dunklen Räumen und tanzenden Menschen auf. Die Musik der Band liefert den passenden Soundtrack. Ich bin in meinem eigenen Film, tanze durch meine eigene Clubnacht. Obwohl die Menge der Informationen gut proportioniert ist, kollidiert mein Film im Kopf aber mit dem, der sich vor meinen Augen abspielt: Es ist Nachmittag, und auf den Straßen begegnen mir Touristen mit Stadtplänen. Auch die Geräusche der Straße, die quietschenden Straßenbahnen und fahrenden Autos, dringen trotz der Kopfhörer an mein Ohr. In diesen Momenten fühle ich mich wie in einem Kino, in dem ich zwei verschiedene Filme ansehe.

Dieses Neben- und Durcheinander verschiedener Geschwindigkeiten, Klänge, Bilder und Geschichten ist so interessant wie anstrengend. Ich laufe wie eine ferngesteuerte Figur und kämpfe mit mehreren Rhythmen: Mir fällt es schwer, genau auf die Vorgaben meiner Sprecherin zu achten und mich dem Taktmaß der Musik anzupassen. Ich will selbst das Tempo bestimmen und wundere mich über die Passanten, die einem ganz anderen Rhythmus zu folgen scheinen. Der Film, der außen abläuft, spielt plötzlich in einer zweiten Realität.

Die Tour funktioniert immer dann, wenn mein eigener Film auch zum realen Film passt. Steht man vor den Hackeschen Höfen und hört die Geschichte über Maximilian Hecker, der dort vor Jahren auf der Straße Musik machte, meint man, ihn dort wirklich stehen zu sehen. Die vorbeilaufenden Menschen werden zu Statisten in dem Film, der sich in meinem Kopf abspult. Gleichzeitig höre ich die wunderschönen sanft-melancholischen Balladen Heckers.

Erholsam sind auch die Wege, die man nur laufen muss, um zum nächsten Ziel zu gelangen. Während dieser Laufstrecken wird nur Musik gespielt: Nun bin ich die Königin in meinem eigenen Musikvideo. Den anderen Passanten gestehe ich nur die Nebenrolle zu. Ich solle beim Überqueren der Straße aufpassen, sagt mir meine DJane. Dankbar nehme ich den Hinweis auf. Denn in meinem eigenen Video gibt es keine Autos, die mir in die Quere kommen könnten.

Die CD ist vor allem für junge Touristen interessant, die die Berliner Subkultur kennen lernen wollen. Für Kenner bieten die Geschichten über das WMF, Maximilian Hecker und über die so oft underdressten Berliner wenig Neues. Die Popmusik aus Berlin ist auf die einzelnen Stationen gut abgestimmt und macht Lust auf mehr: Auf dem Weg durch die laute Oranienburger Straße begleitet mich Ellen Alliens tanzbarer Techno-Track „Stadtkind“, und während ich durch den Monbijoupark laufe, höre ich DFZ, die mich in Ferien- und Tanzstimmung versetzen. Am Hackeschen Markt verabschiedet sich Anja Schneider schließlich. Sie sagt, sie müsse noch Platten kaufen. Am liebsten würde ich mitgehen.

HearWeGo Audiotour „Berlin Sounds – Elektronische Musik, Soundscapes, Street-Art, Clubnomaden“ (Megaeins), 14,80 Euro, www.hearwego.de