: Schwung durch Silber
Die deutschen Beckenschwimmer starten mit Staffelsilber in ihre WM-Wettbewerbe und hoffen, dass dies zum guten Omen wird. Nebenbei schlägt Christian Hein Superstar Michael Phelps über 400 m
AUS MONTREAL JÜRGEN ROOS
Der erste Tag. Für die deutschen Schwimmerinnen und Schwimmer hat dieser erste Tag bei großen Titelkämpfen in den vergangenen Jahren fast schon schicksalhafte Bedeutung angenommen. Bei den Olympischen Spielen 2004 in Athen blieb das Schwimmteam des Deutschen Schwimm-Verbandes (DSV) an diesem ominösen Starttag ohne Medaille – und am Ende auch ohne Olympiasieg. Bei den Weltmeisterschaften in Montreal startete das DSV-Team am Sonntag mit Silber in der 4x100-Meter-Freistilstaffel der Frauen in die Becken-Wettbewerbe – und das Aufatmen war groß. „Diese Medaille hat befreiende Wirkung“, sagte der DSV-Sportdirektor Ralf Beckmann, „aber sie ist auch kein Freibrief, dass es morgen so weiter geht.“ Die Staffelschwimmerin Antje Buschschulte erhofft sich trotzdem „neuen Schwung“ vom Silber.
Der zweite Staffelplatz war sogar eine angenehme Überraschung, denn die vier deutschen Kraulerinnen distanzierten unerwartet die USA und mussten sich nur den starken Australierinnen geschlagen geben. Vor allem die Würzburgerin Annika Liebs, deren Einsatz vormittags noch gar nicht so sicher gewesen war, überzeugte mit einer persönlichen Bestzeit von 54,66 Sekunden bei fliegendem Start. Petra Dallmann (Heidelberg) hatte angeschwommen, Antje Buschschulte (Magdeburg) das Quartett auf Platz zwei geführt, den Annika Liebs und Daniela Götz (Erlangen) schließlich gegen die anstürmenden US-Amerikanerinnen verteidigten.
Für Annika Liebs war es die erste große Veranstaltung ihrer Karriere, nachdem die 25-Jährige erst vor vier Jahren wieder so richtig mit dem Schwimmen angefangen hatte. „Beim Wechsel hatte ich fast das Gefühl, zu schnell gestartet zu sein“, sagte sie, „das war sehr, sehr aufregend.“ Die Wechselzeit von 0,01 Sekunden war wirklich knapp – aber in der Toleranz. „Sie war für mich die Überraschung“, sagte Sportdirektor Beckmann, „denn sie war ja sozusagen die Ersatzschwimmerin für Franziska van Almsick.“ Die 200-Meter-Freistil-Weltrekordlerin hatte nach Olympia ihre Karriere beendet.
Nach den ersten Wettbewerben des ersten Tages hatte es freilich ganz und gar nicht gut ausgesehen: Mark Warnecke (Essen) hatte über 100 Meter Brust nicht einmal das Halbfinale erreicht, Jens Kruppa (Riesa) war dort über den letzten Platz nicht hinausgekommen. Als im Halbfinale über 50 Meter Schmetterling auch noch der Weltjahresbeste Thomas Rupprath (Hannover) und Oliver Wenzel – dem Neuköllner fehlten nur acht Hundertstel – ausgeschieden waren, schwante manchem Böses. Rupprath hatte in seinen beiden Rennen kein Gefühl für das Wasser gefunden. „Das ist, wie wenn Schumi keinen Grip auf dem Asphalt hat“, sagte der 50-Meter-Rücken-Weltrekordler enttäuscht, „aber so ein schlechtes Ergebnis macht einen schon nachdenklich.“ Mit der Weltjahresbestzeit von 23,59 Sekunden war Rupprath nach Montreal gereist, wo er jetzt nur 24,04 Sekunden erreichte.
Dass der erste Tag nicht nur für deutsche Athleten ein ganz besonderer Tag ist, zeigte der erste Auftritt des amerikanischen Superstars Michael Phelps. Der hatte dem Australier Grant Hackett über 400 Meter Freistil den Kampf angesagt, schied aber bereits im Vorlauf als 18. sang- und klanglos aus. Sogar der Deutsche Meister Christian Hein (Rheinhessen) war als 15. schneller als der sechsfache Olympiasieger, was DSV-Sportdirektor Beckmann zu folgender launigen Bemerkung veranlasste: „Christian Hein ist der erste Deutsche, der Phelps geschlagen hat.“ Der kleine Unterschied: Phelps holte am Abend mit der 4x100-Meter-Freistilstaffel der USA die erste seiner sieben noch möglichen WM-Goldmedaillen.