Liberale verlangen Kulturhoheit

Die FDP bietet im Wahlprogramm mehr als bloß Steuersenkungen: Sie fordert einen Bundeskulturminister. Parteichef Westerwelle sagt aber nicht, ob er das selbst werden will. Berliner Vorständler kritisiert: „Bei Bürgerrechten fehlt Profilschärfe“

VON ULRIKE WINKELMANN

Ob Guido Westerwelle Bundeskulturminister werden möchte? „Wir werden es Ihnen nicht sagen“, wer nach Ansicht der FDP für ein solches neues Amt geeignet wäre, erklärte der Liberalenchef gestern der Presse. Nur so viel: „Ich jedenfalls fahre heute Nachmittag nach Bayreuth“ – zu den Wagner-Festspielen.

Westerwelle und der FDP-Generalsekretär Dirk Niebel präsentierten das „Deutschlandprogramm 2005 – Arbeit hat Vorfahrt!“. Es ist das Ergebnis einer zweitägigen Klausursitzung des Parteivorstands. Zentrales Element ist eine Steuerreform: Der Einkommensteuersatz soll auf 15, 25 und 35 Prozent sinken. Zusammen mit den Steuersenkungen für Unternehmen will die FDP für Entlastungen von 17 bis 19 Milliarden Euro sorgen.

Grundsätzlich, erklärte Westerwelle gestern, seien Arbeitsplätze nur durch Wirtschaftswachstum zu schaffen und Wachstum nur durch Steuersenkungen. „Wirtschaftsfreundliche Politik ist also das Gleiche wie arbeitnehmerfreundliche Politik.“ Deutschland sei „Abstiegskandidat. Die „tatsächliche Verarmung“ nehme zu. Das FDP-Programm sei ein „Programm gegen Armut und Abstieg“.

Die von der Union geplante Erhöhung der Mehrwertsteuer lehnte er erneut „glasklar“ ab. Die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung könnten dadurch sinken, dass bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) gekürzt werde. All dies sei sauber durchgerechnet.

Darüber hinaus fordert die FDP auch eine Privatisierung der sozialen Sicherungssysteme. Ein „Bürgergeld“ soll staatliche Transferleistungen für Bedürftige bündeln. Der Ladenschluss soll liberalisiert werden. Gewerkschaften sollen ihr Mitspracherecht bei betrieblichen Bündnissen zwischen Arbeitgebern und Beschäftigten verlieren. Ein Pflicht-Vorschuljahr sowie Sprachtests ab dem 4. Lebensjahr sollen her.

Als neuen liberalen Akzent setzte Westerwelle gestern die Forderung nach einem Bundeskulturminister beziehungsweise einer -ministerin. Dies sei ausdrücklich keine „Kritik an der Kulturstaatsministerin Christina Weiss“ – die nur den Rang einer Staatssekretärin hat –, sagte Westerwelle, sondern an den „Strukturen“: Die FDP wolle jemanden, der am Kabinettstisch die „Autorität der Kulturpolitik“ stärkt. Das Ziel sei nicht, den Bundesländern „etwas wegzunehmen“. Die FDP wolle auch kein neues Ministerium und keine neuen Investitionen. Es gehe „darum, dass der permanenten Abwertung der Kulturpolitik etwas entgegengesetzt werden soll“, erklärte der FDP-Chef.

Das Kapitel Bürgerrechte eröffnet die FDP mit dem Versprechen, das Bankgeheimnis wieder herzustellen. Die Videoüberwachung auch durch Private bedürfe einer gesetzlichen Grundlage. Den Einsatz der Bundeswehr im Innern – ein Steckenpferd der Union – lehnt die FDP ab. Obwohl relativ ambitioniert ausgestaltet, hat sich wegen des Bürgerrechtskapitels ein Mitglied des Bundesvorstands bei der Abstimmung über das ganze Programm enthalten: der Berliner Alexander Pokorny.

„Bei den Bürgerrechten fehlt mir die Profilschärfe“, sagte Pokorny gestern der taz. Das Programm sei grundsätzlich gut. „Aber im Punkt Lauschangriff geht die Beschlusslage der FDP darüber hinaus. Deshalb konnte ich nicht zustimmen.“

Der FDP-Bundesparteitag hatte im Mai in Köln die Abschaffung des Lauschangriffs gefordert. Seither gibt es jedoch ein neues Lauschangriffgesetz. Westerwelle sagte gestern, es sei „sinnlos“, im Programm „zu behaupten, das könne man zurückdrehen“. Pokorny hielt dagegen: „Ich hätte am Ziel der Abschaffung dennoch festgehalten.“

meinung und diskussion SEITE 9