: Der sinnfreie Raum
KUNST Die Galerie Thomas Flor zeigt Photoprints von Tim Berresheim, die in die absurden Bildwelten der Computergrafik einführen
Der Düsseldorfer Galerist Thomas Flor hat das Rheinland verlassen und ist nach Berlin umgezogen. Seine neuen Räumlichkeiten in der Hauptstadt befinden sich am Mehringdamm in Kreuzberg 61, unweit von MD72, dem Ableger Galerie Neu, und der Galerie Arratia Beer. Sein hiesiges Debüt macht Flor mit einer Einzelausstellung von Tim Berresheim. „Tarnen und Täuschen“ heißt die Soloshow des Kölner Künstlers und ehemaligen Schülers von Albert Oehlen an der Kunstakademie Düsseldorf. Berresheim zeigt eine Reihe großformatiger Photoprints, die in die absurden Bildwelten der Computergrafik einführen.
Mit der Technik des Renderings, das physikalische Prozesse simuliert und in dreidimensionale Strukturen wiedergeben kann, komponiert Berresheim synthetische Räume, die sich der Logik entziehen. Mal scheint man in Papierschachteln zu schauen, in denen Ströme aus Millionen Kugeln jenseits von den Gesetzen der Schwerkraft fließen, aufprallen, preschen und ornamentale Figuren bilden. Mal werden Abbildungen von Menschen und Gegenständen in Hochglanzästhetik in einen sinnfreien Raum collagiert oder vollkommen unkenntlich gemacht.
Zwischen den befremdlichen Digitalwelten des Künstlers befindet sich in den Galerieräumen auch eine hübsche, kleine Glasvitrine. Darin präsentiert Thomas Flor die musikalischen Veröffentlichungen Berresheims. Die Cover der Vinyls, CDs und MCs sind unübersehbar vom Künstler selbst gestaltet und kündigen an, dass Berresheims Hang zu Collage und digitalem Rauschen auch seine klanglichen Experimente bestimmt. In seinen wilden Soundversuchen switcht er zwischen Postrock, Metal, Hip-Hop und Techno hin und her und sorgt mit absurden Sprecheinlagen für Witz. Berresheims künstlerische Übergriffe in die Musik kann man sich anhören, während der Blick über seine gerenderten Bildkompositionen schweift. Veröffentlicht hat Berresheim seine Musik unter anderem beim eigenen Label „New America“ oder beim Kölner Label „a-Musik“.
An der Schnittstelle zwischen Kunst und Musik ist „a-musik“ eine Institution. Es ist ein Label, ein alt eingesessener Plattenladen in Köln und ein internationaler Vertrieb. Die Betreiber Wolfgang Brauneis, Frank Dommert und Georg Odijk haben in ihrem Kölner Laden eine einzigartige Sammlung zeitgenössischer, experimenteller Musik, von Freejazz über Dubstep, Krautrock und Elektroakustik bis zu Noise zusammengestellt. Mit ihrem Fokus auf sogenannte Künstlerschallplatten bedient das Label eine Nische, in der ansonsten Museen und Galerien tätig sind.
Tim Berresheims musikalische Experimente sollen den Anfang bilden für eine Kooperation zwischen der Berliner Galerie und dem Kölner Plattenladen. Die Vitrine mit den Tonträgern ist festes Ausstattungsstück der Galerie und soll fortan für jede Ausstellung mit neuen Tonträgern gefüllt werden. Wolfgang Brauneis von a-Musik, selbst Kunstkritiker, wird für jede neue Ausstellung in der Galerie eine eigene Auswahl an Platten aus dem Kölner Stammladen in die Berliner Vitrine stellen.
Die Musik bildet dann das klangliche Pendant zu den Kunstwerken, kann aber – wie in einem gewöhnlichen Plattenladen – angehört und erworben werden.
Dabei widerfährt der Musik eben das, was sonst den Objekten aus der bildenden Kunst vorbehalten ist: Sie wird ausgewählt, kuratiert und ausgestellt.
SOPHIE JUNG
■ „Tarnen und Täuschen“, Galerie Thomas Flor, Mehringdamm 34, bis 18. August