: Unsere Helden
TOP FIVE Das hat noch keiner geschafft: 19 olympische Medaillen hat der amerikanische Schwimmer Michael Phelps gewonnen. Er ist ein großer Sportler. Aber die größeren olympischen Heldinnen und Helden sind die, die über den Sport hinauswuchsen
VON JAN FEDDERSEN UND MARKUS VÖLKER
1 Tommie Smith
Mit seinem Teamkollegen John Carlos setzte er, 1944 in Texas geboren, das wichtigste Fanal der olympischen Geschichte. Nach dem 200-Meter-Lauf nahmen sie ihre Medaillen – Smith die goldene für seine Weltrekordleistung, Carlos die in Bronze – mit erhobener Faust, Kampfgeste der Black-Power-Bewegung, entgegen. Es war die Zeit, als in den USA der Ku-Klux-Clan für einen ehrenwerten Club gehalten wurde und man Afroamerikanern übelnahm, sich nicht mehr versklaven zu lassen. Smith und Carlos wurden vom Olympischen Komitee ihres Landes ausgeschlossen – was ihrer Performance noch mehr Prominenz verschaffte. In summa: Ihr Statement war nicht allein der Bürgerrechtsbewegung ihres Landes nützlich. Diese Demonstration war das Signal zum Durchbruch des nichtweißen Sports schlechthin. Beide, Smith wie Carlos, sind die größten Helden der olympischen Geschichte.
2 Věra Čáslavská
Sie fiel damals allein schon mit ihrer blonden Bienenkorbfrisur auf: Věra Čáslavská war nicht irgendeine Turnerin, sie dominierte das Kunstturnen wie niemand zuvor oder danach – mit athletischer Anmut sondergleichen. Ihre Legende begründete sich allerdings 1968 bei den Olympischen Spielen in Mexiko City auch politisch, als sie das Manifest der 2.000 Worte unterzeichnete – ein Dokument des Prager Frühlings gegen die Eisesfantasien vom Sozialismus sowjetischer Prägung. Čáslavská, 1942 in Prag geboren, wurde so zur Ikone der Opposition gegen die Besetzung der Tschechoslowakei – im eigenen Land von der Nomenklatur nach 1968 geschnitten und aus dem Land trieben. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs wurde der Bann gegen sie aufgehoben. Als Beraterin von Präsident Václac Havel vermochte sie es, dem tschechischen Sport wieder einen würdigen Ausdruck zu geben.
3 Hassiba Boulmerka
Als sie 1991 in Tokio Weltmeisterin über 1.500 Meter wurde, erntete sie mit ihrem Sieg in ihrer algerischen Heimat keineswegs starken Beifall. Islamistische Kräfte hießen sie unzüchtig, unislamisch – und das war durchaus als Drohung zu verstehen. In einer politischen Ära, in der religionshörige Kreise auf die Zurückdrängung von Frauen in die zweite Reihe pochten, war Hassiba Boulmerka, Jahrgang 1968, eine Provokateurin. Zum Training musste sie sich nach Frankreich zurückziehen – und gewann 1992 bei den Olympischen Spielen in Barcelona Gold in ihrer Disziplin. Schaut man sich Bilder von einst mit ihrer wütend-entschlossenen Miene am Start an, erkennt man leicht, welche ermutigende Symbolkraft in ihrem güldenen Anderthalbkilometerlauf gelegen hat: Boulmerka widmete ihren Sieg allen, die „frei sein wollen“, sich also den Sittenwächtern nicht beugen wollen.
4 Cathy Freeman
Die Aufgabe, die ihr zufiel, war nahezu unmenschlich: Sie sollte bei den Heimspielen in Sydney nicht nur das Feuer entzünden und Gold über 400 Meter gewinnen, sie sollte auch die Aborigines und die weißen Australier miteinander versöhnen. Sie selbst stammt von den Ureinwohnern ab. Obwohl sie drohte zum Spielball der großen Sportpolitik zu werden, ging sie mit der Situation meisterlich um. Im Ganzkörperanzug rannte sie über die Stadionrunde zu Gold. Die Tonnenlast auf ihren Schultern streifte sie auf der Tartanbahn mit Leichtigkeit ab. Sie erfüllte den nationalen Auftrag. Als politische Mittlerin war sie aber überfordert. Sport und Politik hätten nichts miteinander zu tun, so versuchte sie sich aus der Situation herauszumanövrieren. Kein Wunder, dass sie nach ihrem Lauf sagte: „Ich habe mir einen Traum erfüllt, aber jetzt bin ich froh, dass alles vorbei ist.“ Sie hatte ihre Mission erfüllt.
5 Bradley Wiggins
Er kann beides: Bahn und Straße. Schon vor den Spielen in London hatte er drei olympische Goldmedaillen gewonnen. In seiner Heimat gewann „Wiggo“, wie ihn die Briten nennen, die vierte im Einzelzeitfahren auf Asphalt. Sie lieben ihn nicht nur, weil er nach 99 Jahren wieder für einen britischen Sieg bei der Tour de France gesorgt hat, sondern weil er sich selbst aus einer misslichen Lage befreit hat. Nach Olympia 2004 begann er zu trinken. „Ich hatte mit 24 alles erreicht, da blieb mir nur noch das Bier. Sechs Stunden am Tag, eine Flasche nach der anderen. Ein gutes Jahr lang“, sagte er. Die Geburt des Sohnes Ben habe ihn „ernüchtert“. Der Mann mit den Koteletten hat den Alkoholismus besiegt. Auch von leistungssteigernden Substanzen lässt er die Finger. Sagt er jedenfalls. Was bleibt, ist seine Suchtanfälligkeit. Er lebt sie heute auf dem Rennrad aus.
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