: Löcher ohne Boden
Von unserer Kontext-Redaktion↓
Das Sommerloch ist auch nicht mehr das, was es einmal war. Ferne Zeiten, als in den Hundstagen wirklich keine Sau da war, bis auf ein paar Zweite-Garnitur-Politiker, die die Gelegenheit für mediale Strohfeuer nutzten. Die wenigen verbliebenen Redakteure stürzten sich auf jede noch so kleine Meldung, so kamen dann etwa entlaufene Kaimane (Sammy), Kängurus (Heidi) und Schnappschildkröten (Lotti) zu Ehren.
Dieses Jahr ist alles anders, auch, aber nicht nur wegen Corona. Die deutschen Badeseen sind wegen all der Heimurlauber so überfüllt, dass sich frühere Sommerlochfüller wie Sammy gar nicht erst in die Nähe des Ufers trauen würden, SPD-Superheld Olaf Scholz aka the Big Wumms wird zum Kanzlerkandidaten gekürt und Kreml-Superheld Wladimir Putin hat quasi im Alleingang einen Corona-Impfstoff entwickelt, vermutlich während er mal wieder mit blanker Heldenbrust zu Pferde saß. Pardon, nun sind wir etwas ins Fabulieren gekommen, liebe Lesende. Und wenn Sie jetzt angesichts dieser tugendterroristischen Formulierung am liebsten eine Bombe zünden würden, lesen Sie bitte Joe Bauers Kolumne.
Vom Sommerloch streng zu unterscheiden sind die höchst materiellen Löcher, die das Stadtumgrabungsprojekt Stuttgart 21 mit sich bringt. Neben dem ganz großen Loch im Schlossgarten entstehen im Stadtgebiet immer mal wieder auch kleinere, gewissermaßen Pop-up-Löcher. Eines davon ist gerade in der Urbanstraße zu bestaunen, ein durchaus beachtliches: Außer einem schmalen Gehwegstreifen hat es die gesamte Straßenbreite verschlungen. Aus seinem mehrere Meter tiefen Schlund dringen kloakige Gerüche. Das Loch war ursprünglich kleiner, sogenannte Hebungsinjektionen wurden hier in den Boden gespritzt, um wegen des S-21-Tunnelbaus abgesackte Häuser zu stützen, wobei auch mal was schieflief (Kontext berichtete). Das Ganze sollte in Ordnung gebracht worden sein, doch das Loch blieb erstmal, und besorgte Anwohner machten Kontext darauf aufmerksam, dass wiederholt Wagenladungen an Kies reingeschüttet worden und kurze Zeit später verschwunden seien. Ein Fass, will sagen: Loch ohne Boden? Laut einem von Kontext befragten Geologen sei das Verfüllen mit Kies das gängige Verfahren, wenn man im Untergrund auf einen Hohlraum gestoßen sei. Genaueres könne er mangels Informationen aber auch nicht sagen. Und die Bahn sagt auf Anfrage: läuft alles planmäßig. Na dann.
Klar ist: Solche Löcher wären Stuttgart erspart geblieben, hätten die Proteste gegen S 21, die vor zehn Jahren Zehntausende auf die Straße brachten, Erfolg gehabt.
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