Wenn der Kosmos lautlos implodiert

Der Krieg der Welten ist real – zumindest im Reich der Kinos: Das Kosmos war das erste Multiplexkino in Berlin. Inzwischen gibt es modernere – und zu viele. Heute laufen die letzten Filme. Was aus dem Haus danach wird, ist unklar. Ein Abschiedsbesuch

VON CLAUDIUS PRÖSSER

Kurz vor der Abendvorstellung verdunkelt sich über dem Kosmos der Himmel. Doch die Katastrophe bleibt aus: Während drinnen auf der Leinwand Blitze auf New York niedergehen und außerirdische Kampfmaschinen zum Leben erwecken, geht über der Karl-Marx-Allee nur Sommerregen nieder, durch den Zu-spät-Kommende ins rettende Foyer hasten.

Drinnen ist die Stimmung an diesem Montagabend gedrückt. Warum, verrät ein Plakat: „Im Kosmos gewesen. Geweint. – Berlins erstes Multiplex muss schließen.“ Auch Helga Teichert steht die Frustration ins Gesicht geschrieben: „Wir alle sind sehr traurig über die Schließung“, sagt die Kassiererin, „das war doch ein Traditionsbetrieb.“

Teichert hätte in wenigen Tagen auf acht Jahre Kosmos zurückblicken können. Aber daraus wird nichts. Heute – Mittwoch – Abend, nach dem allerletzten Abspann, werden die 27 Kinoangestellten ein letztes Mal Filmrollen abnehmen, Geld zählen und das Licht löschen. Dann endet ihr Arbeitsverhältnis mit der Ufa Theater AG.

Deren Insolvenzverwalter hat allen Protesten des Betriebsrats zum Trotz das Haus neu vermietet – an den Betreiber einer riesigen Disko am südlichen Berliner Ring, wo „Schaum-Partys“ und „Popp-Nights“ steigen. Was der mit dem Kosmos vorhat, weiß keiner genau. Ein Fun-Center in dem 1962 eröffneten Rundbau am Frankfurter Tor – wenn das die Erbauer geahnt hätten! Hier sollte sozialistische Filmkunst mit ideellem Mehrwert über die riesige Leinwand flimmern, im Oval des einzigen Saals, vor gut tausend Zuschauern. Tat sie ja auch.

Konkurrenz hatte das Kosmos lange nicht. „Im International lief ja immer ein anspruchsvolleres Programm“, so eine Mitarbeiterin. „Aber dann haben sie überall Multiplexe hochgezogen.“ Auch sie sagt diesen bitteren Satz: „Wir waren in Berlin das erste echte Multiplexkino – und sind jetzt das erste, das schließt.“ Eine Pressemappe findet sie auch noch – von der Neueröffnung im Dezember 1996.

Damals hatte alles so gut ausgesehen. Weil der Denkmalschutz nicht erlaubte, den hutschachtelartigen Baukörper zu umbauen, wurden die neun zusätzlichen Säle einfach unter die Erde verlegt. Wer einen von ihnen ansteuert, blickt von unten durch das Glasdach auf die gekachelte Fassade des Kinos. Eine ansprechende Lösung. Zusammen mit anderen Annehmlichkeiten – Schwingsessel, Surround-Soundsystem, Tiefgarage – brachte das dem Kosmos einen echten Boom. Der Besucherrekord datiert von 1997, als Filme wie „Knockin’ on Heaven’s Door“ und „Das fünfte Element“ 9.000 Menschen an einem Tag anlockten.

Heute hat jedes Großkino weiche Sitze – und richtig schick ist das umgebaute Kosmos auch nicht mehr. Wenn im großen Saal das Licht angeht, sieht man große Flecken auf dem grauen Teppich, und im Foyer mit seinen Kachelwänden flimmert das Programm über Röhrenbildschirme. Wem der state of the art in Sachen Multiplex wichtig ist, geht ins Cubix oder an den Potsdamer Platz. Wer hip sein will, ins International. Das Kosmos-Programm würde ihm ohnehin wenig zusagen. Am letzten Tag laufen neben Spielbergs „Krieg der Welten“ unter anderem „Batman begins“ und „Das Schwiegermonster“.

Als am Montagabend alle Außerirdischen besiegt sind, ist auch der Himmel über der Karl-Marx-Allee wieder klar. Im Foyer haben die Mitarbeiter ein paar Tischchen vor der Fensterfront zusammengeschoben, um schon mal Abschied zu feiern. Rotwein und Sekt gibt es, Nudelsalat und Gurken. Das sieht gemütlich und traurig aus. „Zwei Jahre geb’ ich ihm“, sagt eine Angestellte trotzig über den neuen Betreiber. Sehr überzeugt klingt es nicht.