: Effizienz ist das Ende der Universität
Die Hochschulen sind gefährdet: mit der Anpassung an wirtschaftspolitische Ziele verlieren sie ihr größtes Potenzial – die Freiheit zu denken
Die europäische Universität erfreute sich des grundgesetzlichen Schutzes der Wissenschaftsfreiheit bei der Besetzung ihrer Lehrstühle ebenso wie bei der Definition ihrer Forschungs- und Lehrgebiete. Doch ob die Wissenschaftsfreiheit noch gilt?
In Dresden hat die Hochschulleitung vor zwei Jahren die Schließung der juristischen Fakultät beschlossen, ohne die Fakultät zu informieren, in Heidelberg hat der Rektor jetzt ohne Rücksprache mit der Fakultät die Schließung des Alfred-Weber-Instituts für Volkswirtschaftslehre dekretiert.
Im Rahmen des Austauschs von Lehrstühlen, den die Rektoren der Mannheimer und der Heidelberger Universität ausgehandelt haben, sollen die Lehrstühle in die Betriebswirtschaftliche Fakultät Mannheim übernommen werden: Mannheim und Heidelberg haben keine Universitäten mehr, sondern bilden nun einen zusammenhängenden Hochschulraum.
Seit 1997 wurde ein Steuerungskonzept für unsere Universitäten entwickelt, das vom Centrum für Hochschulentwicklung ausgearbeitet wurde, einer gemeinsamen Einrichtung der Rektorenkonferenz und der Bertelsmann-Stiftung. Unter dem irreführenden Motto der „Stärkung der Selbstverwaltung“ wird die Selbstverwaltung der einzelnen Fakultäten und Institute über die Verwendung finanzieller Ressourcen abgeschafft, und die Rektoren erhalten die Macht von Konzernchefs. Ein Hochschulrat aus Unternehmern und Personen des öffentlichen Lebens bildet eine Art Aufsichtsrat.
In manchen Hochschulgesetzen wird angeregt, dass die neuen Universitätsleiter „vorzugsweise von außen“ kommen und „managementerfahren“ sein sollen. Die nach betriebswirtschaftlichen Maßstäben gesteuerte Universität soll unter völlig neuen Gesichtspunkten arbeiten: Marktnähe, Wettbewerb, Effizienz, der Slogan „Personen statt Regeln und Erlasse“ soll die neue Machtstruktur innerhalb der „entfesselten Universität“ nach außen vermitteln.
Die Universitätsführung erhält die Möglichkeit, Stellen von einer Fakultät zur anderen zu verschieben und Leistungszulagen nach Marktnähe zu beeinflussen, und strebt das Recht der Auswahl ihrer Studenten an. Es geht um die Profilierung im Wettbewerb und die Verpflichtung „ihrer“ Hochschulbetriebe und der einzelnen Fachbereiche auf ein Leitbild und eine „Mission“. Geld soll gezielt und konzentriert in entsprechenden Fächern eingesetzt werden.
Dazu werden Anreize geschaffen, wie die mit 1,9 Milliarden Euro ausgestatteten „Eliteprojekte“. Der Rektor wird zum Schumpeter’schen Unternehmer, der die „Lösung von Problemen“ im Verbund mit qualifizierten Forschern sucht, und diese zu vermarkten weiß. Patentbüros werden an den Universitäten eingerichtet, die Wissenschaftler sollen aufgrund von Leistungszulagen und des Reputationsgewinns kreativ werden.
Die Politiker glauben, dass Innovation den Schlüssel zur Zukunft darstellt. Aber schon mit der bürokratischen Definition dessen, was als zukunftsfähig eingestuft wird – „Life Sciences“ (Kommunikation, Neurologie, Biotechnik) – fallen sie hinter die zentrale Einsicht Humboldts zurück, der einst mahnte, „das Prinzip zu erhalten, die Wissenschaft als etwas noch nicht ganz Gefundenes und nie ganz Aufzufindendes zu betrachten und unablässig sie als solche zu suchen“. Die Wissenschaften sollten also selbst ihre Forschungsziele bestimmen.
Nicht zufällig wurden die wichtigsten Entdeckungen häufig von Forschern gemacht, die an einer ganz anderen Fragestellung saßen – das Penicillin wurde ebenso zufällig gefunden wie die Röntgenstrahlen.
Der Druck zur Marktnähe und Verkäuflichkeit dagegen zeitigt ganz andere Folgen: Der Wissenschaftsbetrieb wird zunehmend von show- und medientauglichen Elementen durchsetzt, und die Versuchung wächst, die hochgesteckten Erwartungen mit allen Mitteln zu erfüllen. Der Zwang zum Erfolg wird übermächtig.
Betrug und Scheinerfolge häufen sich. Dass sich die beiden bisher spektakulärsten Fälle des Forschungsbetrugs – der Fall Hermann/Brach und der Fall der Manipulationen am Kölner Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung – gerade in jenen Bereichen abspielten, in denen die Erwartungshaltung von Öffentlichkeit und Wissenschaftsbürokratie am höchsten ist, ist kein Zufall. Es gibt keine Formel für die Korrelation von Forschungsaufwand und Ergebnis, das wissen die Wirtschaftsunternehmen sehr genau, und deshalb liegt es in ihrem Interesse, die aufwändige Forschung an die Universitäten zu delegieren.
Mit der Einbindung der Wissenschaft in kurzsichtige wirtschaftspolitische Ziele jedoch werden die Potenziale verschleudert, die nur aus den autonom gewählten und gestalteten Umfeldkombinationen der Wissenschaftler selbst entstehen können.
Verliert die Universität mit der betriebswirtschaftlichen Umstrukturierung die Freiheit der Wissenschaft und mit der Hierarchisierung ihre demokratische Verfassung, so wird jener Druck zum Erfolg wirksam, von dessen Fehlen die Qualität der Wissenschaft stets profitiert hat, denn die Produktivität von Wissenschaft hängt so gut wie ausschließlich von ihrem Personal ab.
Je mehr man aber das Wissenschaftsverständnis einschränkt und zugleich die Wissenschaftler belastet (Umstrukturierungen der Studiengänge, Gutachten, Außendarstellung, Qualitätssicherungsbürokratie, Kosten-Nutzen-Rechnungslegung), desto höhere Einbußen an Produktivität muss man erwarten. Die Universität verliert ihre Funktion als nicht ergebnisorientierte Denkanstalt, und je mehr sie abhängig gemacht wird von den Märkten, desto mehr wird sie nach Art des „Schweinezyklus“ produzieren: Mal von diesen zu wenig, mal von jenen zu viel – weder „Spitzenqualität“ noch Innovation wird das Ergebnis sein.
Immer mehr Forschungsgeld wird in die „Life Sciences“ gepumpt, immer weniger Mittel für die Lebenswissenschaften bleiben übrig. Die märchenhafte Zukunft der Life Sciences aber dürfte sich als ein ebenso kurzlebiger Bluff erweisen, wie die „neue Ökonomie“, während die sozialen und ökonomischen Probleme in Europa zugleich eher zu- als abnehmen.
Die betriebswissenschaftliche Sicht reicht jedenfalls nicht aus, die Zukunftstauglichkeit der europäischen Universitäten zu definieren. Die modische Ausrichtung der neuen Hochschulbetriebe auf alles, was „profitabel“ erscheint, ist nicht nur eine permanente Verletzung der Wissenschaftsfreiheit, sondern auch kurzsichtig und politisch gefährlich. REINHARD BLOMERT