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Archiv-Artikel

Glücksverbote jeglicher Art

Sie sind die Spezialisten für das Unerfüllbare: Christoph Marthaler und Anna Viebrock haben die Festspiele Bayreuth mit „Tristan und Isolde“ eröffnet, fast schon kokett auf ihrer Traurigkeit beharrend

Die Luft zum Atmen wird zugeteilt. Was geschieht, geschieht vielleicht nur in unseren traurigen Hirnen

VON SABINE ZURMÜHL

Die Regierung gibt es nicht mehr. Aber sie kann sich noch in Bayreuth ein bisschen feiern lassen. Die künftige Kanzlerin, die in ihrem rosa Futteralkleid leuchtete, wurde besonders heftig gegrüßt und beklatscht.

Dieses Jahr wird in Bayreuth als Interimsjahr empfunden. Die „Ring“-Zählung wird erst 2006 mit Tankred Dorst weitergehen. Schlingensief soll einiges in seinem „Parsifal“ vom letzten Jahr geändert haben. Zu dem Öffentlichkeitsdrang seiner Kunstdemonstrationen und ihrer großen ästhetischen Hektik bildet der Regisseur und Musiker Christoph Marthaler, vielfach ausgezeichnet, einen Kontrapunkt. Marthaler gilt als Spezialist für unerfüllte Träume, für die Langsamkeit der Dinge, für den barmherzig-unbarmherzigen Blick auf unser aller Unvollkommenheit. Er erhielt viele Vorschusslorbeeren. Gelungen ist ihm der „Tristan“ (noch) nicht. Das Regieteam Marthaler/Viebrock wurde am Ende mit einem einhelligen Buh gestraft.

Übermächtig ist der geschlossene Raum von Anna Viebrock. Ein Himmel wird sich niemals öffnen für Tristan und Isolde, er ist verbaut. Der Raum, der in die Tiefe wächst und von Akt zu Akt schäbiger wird, sieht aus wie ein altes Kino, eine verrottete Schiffslounge, eine Waschküche – eben so, wie Anna Viebrock Räume baut. Der Wartesaal ist darin angedeutet, die Passage, das Nichtankommen, ein Stocken der Zeit.

In „Murx den Europäer“ in der Volksbühne fiel damals die Schrift „Damit die Zeit nicht stehen bleibt“ von der Wand, hier im „Tristan“ kommen im Laufe des Abends die strahlenden Neonkringel, diese armen Ersatzsterne, von der Decke und stranden neben der Heizung. Bereits während der Ouvertüre ziehen die Neonsternringe in breiter Spur nach vorn, wie ein schnelles Firmament. Gleichzeitig übrigens läuft unten ein kleiner Fußschemel wie ein desorientierter Dackel hin und her. Verwirrend.

Das Drama, das „auf dem Vorderdeck eines Seeschiffes“, „Im Garten Isoldes“ und „mit Blick auf weiten Meereshorizont“ spielt, ist in den geschlossenen Raum verlegt: totale Klausur, keine freien Blicke bitte, ähnlich, wie es Claus Guth mit seinem „Holländer“ 2003 in Bayreuth tat. Die Luft zum Atmen wird zugeteilt. Was geschieht, trägt seine strengen Grenzen in sich, vielleicht geschieht es auch nur in unseren traurigen Hirnen. Aus diesem Bereich gibt es einen bewachten Ausgang, eine Art Grenzkontrolltür, Milchglas, die nie vergessen lässt, dass es sich hier nicht um einen privaten Raum handeln wird, egal, was passiert.

Isolde, Tochter einer irischen Zauberin und selbst der Heilkunde mächtig, und Brangäne, ihre Dienerin und Gefährtin, sind Frauen des zwanzigsten Jahrhunderts, die allerdings in jedem Akt in anderer Zeitschiene leben. Anna Viebrock beschreibt, sie seien zunächst „zwei Engländerinnen irgendwann um 1920“. Hier kann sich Isolde noch als die rachekundige Prinzessin zeigen, deren sozialer Abstand zu ihrem „Entführer“ Tristan in seinem zu engen Sakko eindeutig ist. Erst durch den Liebestrank wird diese Ungleichheit in eine behauptete Gleichheit sich ändern können. Oft bleibt der Spielraum eingeteilt in ein Männer- und ein Frauenareal. Die Trennung ist offensichtlich. Heiner Müller zeigte in seiner Bayreuther „Tristan“-Inszenierung von 1993 verstörende Bilder des Un-Verhältnisses zwischen Tristan und Isolde, Bilder der Unerfüllbarkeit dieser Liebe. Das Paar berührte sich nicht.

Marthaler geht darin noch weiter. Er führt vor, dass die „Liebesvergiftung“, die „Überfülle an toxischer Energie“ (Dramaturg Malte Ubenauf) die beiden betäubt und lähmt. Tristan und eine Isolde finden sich dieses Mal in die Sechzigerjahre versetzt mit Kostümchen, toupiertem Haar und penetranter Verhemmtheit, immer der Öffentlichkeit preisgegeben, wie eingefroren. Sie schauen sich nicht an, bleiben aber, einfach da. Schließlich schleicht sich eine schüchtern-rührende Lüsternheit ein, unbeholfen, marthalerhaft, wenn Isolde mit den Zähnen ihre Handschuhe auszieht, wenn Tristan sich in verkrampfter Geste an ihr Knie schmiegt. Es ist Zeit für das leidenschaftlichste Duett der Opernliteratur.

Isoldes Liebestod schließlich findet auf Tristans leerem Bett statt, ein Krankenhausmonstrum mit Fernbedienung, einem Katafalk ähnlich, wie er Amfortas gut anstände. Die Isolde des Schlussaktes, in Hosen und Trench, ist klar bei sich, wach, gereinigt vom Gift, clean. Ihre Entscheidung ist dennoch der Tod.

Marthaler und Viebrock riskieren viel mit den langen Phasen von Unbewegtheit ihrer Figuren, mit dem Glücksverbot jeglicher Art, mit dieser depressiven Statik. Zu hermetisch ist das geraten, zu selbstgewiss traurig, in fast koketter Spannung mit dem Tod, dem Sterben. Das Thema des „Tristan“, die todsuchende liebende Liebe, hat er nicht gestaltet, sondern umgangen.

Den musikalischen Eindruck bestimmt die Schwedin Nina Stemme, die bereits die Freia im Kirchner-„Ring“ in Bayreuth sang: Wunderbar klar und energiereich, gleichermaßen weich und dramatisch bleibt sie auch in den Höhen. Sie ist ein Glücksfall für Bayreuth. Ihren Tristan singt der Amerikaner („Cowboy-Tenor aus der Prärie“ titelt das Festspiel-Magazin) Robert Dean Smith, stimmlich kräftig und strahlend, im Sprachlichen noch nicht ganz auf der Höhe. Die Brangäne von Petra Lang, zum ersten Mal in Bayreuth, ist makellos. Dirigent war Eiji Oue, in Hiroschima geboren, Schüler von Bernstein, der zum ersten Mal in Bayreuth dirigiert mit einem verlässlichen, fließenden, sicher noch nicht persönlich gefärbten Ton.