KARLSRUHE WILL MEHR GERECHTIGKEIT BEI LEBENSVERSICHERUNGEN : Privatisierung erfordert Regulierung
Das Bundesverfassungsgericht hat verbraucherfreundlich geurteilt. Der Staat muss auch im Detail sicherstellen, dass die Inhaber von Lebensversicherungen von den Versicherungskonzernen angemessen an den Erträgen beteiligt werden. Wie der Staat das nun garantieren soll, hat das Gericht offen gelassen. Das ist auch sinnvoll. Zum einen sind die acht Richter mit ihrem mäßig ausgestatteten Apparat keine Versicherungsexperten und wären mit einer Neuregelung schlicht überfordert. Zum anderen wäre es auch undemokratisch, wenn die Richter Details des Versicherungsrechts nun aus der Verfassung ableiten würden und die Regelung damit dem gewählten Gesetzgeber entzögen.
Möglicherweise kommt am Ende der geforderten Reform dann aber nur sehr wenig zusätzliches Bargeld beim Bürger an. Die Versicherungslobby wird ab heute versuchen, auf Bundesregierung und Abgeordnete einzuwirken, um eine Minimallösung zu erreichen. Das wäre aber auch keine Tragödie. Bisher werden immerhin 97 Prozent der Überschüsse an die Versicherten ausbezahlt. Das zeigt, dass das System bisher ganz ordentlich funktioniert. Und auch die stillen Reserven der Konzerne haben den Versicherten durchaus genützt. Während Aktienanleger nach dem Börsenboom oft Dreiviertel ihres Anlagewertes verloren, konnten die Assekuranzen mit Hilfe ihrer stillen Reserven die Lebensversicherungen weiter mit im Schnitt vier Prozent verzinsen.
Viel wichtiger ist die Botschaft der Richter, dass der Staat stets die Verantwortung für das Wirtschaftsgeschehen hat. Auch wenn er sich, wie etwa in der Altersvorsorge, zunehmend zurückzieht, muss er zumindest einen Rahmen schaffen, der gerechte Lösungen sichert. Auch Privatisierung wird so nicht zur Deregulierung führen, sondern erfordert im Gegenteil neue Regelungen. Und Karlsruhe hat gestern mehr als deutlich gemacht, dass es den Staat bei Bedarf an diese Pflichten erinnern wird. Auch ein Staat, der nur noch den Rahmen für Gerechtigkeit herstellt, wird in Karlsruhe genau kontrolliert. Die strategische Bedeutung des gestrigen Urteils ist also viel größer als der bare Nutzen.
CHRISTIAN RATH