berliner szenen
: Whiskey in kleinen Tütchen

Im Supermarkt steht eine Frau in der Reihe mit Mehl und Eiern und schaut sich suchend um. Sie sieht aus wie ein paradiesischer Vogel. Ihr Rock ist rot, lang und plusterig, darüber trägt sie eine orangefarbene Bluse und einen Sommerhut mit einer lilafarbenen Blume. Bei jeder ihrer Bewegungen klirren Armbänder und ihre Maske ist feuerrot mit einer kleinen Ausstülpung vorn, die wie ein Schnabel aussieht. Ihr blumiges Parfum setzt sich schwer zwischen die Eierkartons. Ich nehme einen Karton, schaue hinein und stupse jedes Ei an, um zu sehen, ob es noch ganz ist. Die Vogelfrau schaut mir dabei zu. Als ich den Deckel befriedigt wieder schließe, treffe ich ihren Blick und sie sagt: „Das ist ja mal ein Trick.“

Ich überlege, ob sie das ernst meint und sage vorsichtshalber: „Na ja.“

Nicht weit vor dem Kühlregal höre ich wieder ihre Stimme: „Entschuldigung, können Sie mir helfen?“

„Ich versuch’s“, sagt eine Verkäuferin mit einer Liste in der Hand.

„Ich suche Börben-Vanille“, sagt die Vogelfrau und zeigt hilfesuchend auf das Regal. Die Verkäuferin guckt sie an und kratzt sich am Ohr.

„Also der Whiskey steht drei Reihen weiter.“

Die Vogelfrau schaut irritiert und sagt: „Nein, wissen Sie, den Börben-Vanillezucker in den kleinen Tütchen.“

„Ach so“, sagt die Verkäuferin, „Bourbon Vanillezucker ist genau auf der anderen Seite ganz oben.“

„Bourbon?“, fragt die Vogelfrau. Die Verkäuferin nickt: „Das andere ist der Whiskey.“

„Ach“, macht die Vogelfrau. „Ich wusste ja gar nicht, dass es auch Whiskeyzucker gibt. Finde ich den auch da?“

„Eh nee, den gibt es nicht. Ich habe Sie nur nicht gleich verstanden.“ Die Vogelfrau guckt verwirrt.

Als die Verkäuferin an mir vorbeikommt, sagt sie mehr zu sich selbst: „Das sind die Leute, die auch immer nach dem Prosettscho suchen.“

Isobel Markus