Jasmin Ramadan
Einfach gesagt
: Im Schwarm der Idioten gegen den Strom

Foto: Roberta Sant'anna

Die Leute rennen doch nur zu diesen albernen Demos, um gegen den Strom zu schwimmen“, sagt die junge Frau auf dem Alma-Wartenbergplatz nach Mitternacht.

„Im Idiotenschwarm gegen den Strom!“, sagte eine andere und steht vom Kantstein auf.

„Will noch jemand Wodka? Nele, kann ich mal deine Maske, meine hab ich vorhin auf dem Klo verloren.“

„Wie ist das passiert?“

„Ach, ich hab Jonas getroffen und wir haben da kurz geknutscht.“

„War der nicht gerade in Spanien?“

„Ja, aber ist kein Risikogebiet.“

„Teilweise schon.“

„Ach, jeder Mensch ist ein Risikogebiet, wer hält sich schon an alle Regeln?“

„Ich halt mich auch sonst an alle Regeln, ich steh drauf, weil meine Mutter so ein peinlicher Hippie ist, die ist immer nackt rumgelaufen, sogar wenn mein Freund da war.“

„Du brichst die Regeln, um dich gegen die Norm deiner Mutter zu stellen, Menschen sind so platt, alle!“

„Es ist so öde einfach, die Regeln zu brechen – als Frau rasierst du dir nicht die Achseln, schon eckst du an.“

„Achselhaare sind doch ein alter Hut. Umarmen ist das neue schräge Tabu. Ich bin solo, ich brauch auch Wärme.“

„Schmus doch mit einem Hund!“

„Hunde können auch Corona kriegen, in den USA ist ein Deutscher Schäferhund dran gestorben.“

„Wieso betonst du das so? Deutscher! Schäferhund.“

„Um dich zu provozieren.“

„Provokation langweilt doch nur noch – wollen wir uns nicht stattdessen alle in den Arm nehmen?“

„Mir ist so schon warm genug.“

„Aber ohne Leonie, die hat mit Jonas geknutscht, der war schon vor Corona eklig.“

„Ich will andere Körper drücken, JonasKontakt und Achselhaare sind mir schnurz!“

„Es gibt Langzeit-Eremiten in Höhlen auf griechischen Inseln, da kannst auch du so lange, wie Corona dauert, auf Drücken und Küsschen verzichten.“

„Mit Corona ist Regeln brechen für jeden Normalo ein Kinderspiel geworden.“

„Deshalb rennen die ganzen Spießer auf die Demos, endlich können die sich auch mal fühlen wie Autonome.“

„Oder Nazis.“

„Stimmt, ich denk bei Demonstranten mittlerweile eher an Rechte und Verschwörungspissköpfe als an was Gutes.“

„Rebellion ist hohler Mainstream geworden und hat jede Romantik verloren.“

„So wie Tattoos.“

„Und Anarchie.“

„Ich frühstücke oft am Buffet im Hotel bei mir gegenüber. Ich werd’nie kontrolliert.“

„Endlich kommt dir mal zugute, dass du in jedem Outfit aussiehst wie der härteste Normalo.“

„Ich fahre Fahrrad mit Helm.“

„Ich ohne!“

„Was ist der größere Tabubruch?“

„Kommt drauf an, ob dir Lässigkeit wichtiger ist oder Gesundheit.“

„Eindeutig Lässigkeit.“

„Eindeutig Gesundheit.“

„Ach, Schnickschnack, wofür es sich zu leben lohnt, lohnt es sich auch zu sterben.“

„Fahrradfahren ohne Helm?“

„Besoffen Fahrrad fahren ohne Helm und Licht, dabei laut Musik hören. So fühl ich mich scheißfrei.“

„Warum schwimmen Fische eigentlich gegen den Strom?“

„Warum gibt es überhaupt Fische?“

„Damit das Meer nicht so einsam ist.“

„Oder wegen Sushi.“

„Du bist grausam.“

„Du bist theatralisch.“

„Nicht wieder streiten, unterm Strich sind wir alle Menschen und sitzen in einem Boot.“

„Geht so.“

„Nie im Leben!“

Jasmin Ramadan ist Schriftstellerin in Hamburg. Ihr letzter Roman „Hotel Jasmin“ ist im Tropen/Klett-Cotta Verlag erschienen. Sie war für den diesjährigen Bachmann-Preis nominiert. In der taz verdichtet sie im Zwei-Wochen-Takt tatsächlich Erlebtes literarisch.