piwik no script img

Archiv-Artikel

Sightseeing im gleitenden Karussell

BASILIKATA Das Kunstprojekt Arte Pollino soll die süditalienische Region aufwerten

Basilikata

Anreise Mit dem Flugzeug: z. B. mit TUIfly (ab Hamburg, Hannover, Köln/Bonn, Frankfurt, Stuttgart, Memmingen, München), Air Berlin (ab Berlin-Tegel) oder Easyjet (ab Berlin-Schönefeld) nach Neapel und weiter mit dem Mietwagen in die Basilikata. Mit der Bahn: ab München mit dem Nachtzug (21.03 Uhr) nach Rom (9.05), weiter nach Neapel, dann per Bus nach Rotonda (www.slasrl.it). Mit dem Bus: z. B. mit der Busgesellschaft Simet u. a. von Hamburg, Hannover, Köln, Frankfurt/Main, München nach Neapel (www.simetspa.it). In der Basilikata verkehren Regionalbusse.

Infos Tourismusorganisation der Basilikata: www.aptbasilicata.it (Infos auch auf Deutsch) ■ Arte Pollino www.artepollinobasilicata.it (Infos auch auf Englisch) ■ Literatur Peter Amann: „Kalabrien/Basilikata, Reise Knowhow“, 504 S., 2008, 19,90 Euro Carlo Levi: „Christus kam nur bis Eboli“, SZ-Bibliothek, 5,90 Euro

VON GÜNTER ERMLICH

Wäre Carsten Höller nicht Carsten Höller, sondern zum Beispiel der regionale Tourismuschef, hätte er nicht derart unverblümt sagen können: „Wer in Deutschland kennt schon die Basilikata? Kein Mensch!“ Carsten Höller , der international bekannte Objekt - und Installationskünstler, ist auf Dienstreise in der süditalienische Region Basilikata, auf Einladung von „Arte Pollino – ein anderer Süden“. Das Projekt „Arte Pollino“ setzt sich zum Ziel, durch internationale zeitgenössische Kunst einen Beitrag zur Regionalentwicklung zu leisten, den Pollino-Nationalpark und die Basilikata bekannter zu machen und den lokalen Tourismus anzukurbeln. Das Kunstprojekt ist eine Initiative des Programms „Sensi Contemporanei“, das von der Region Basilikata, zwei Ministerien in Rom und der Stiftung der Biennale Venedig gefördert wird. Neben dem Deutschen Carsten Höller wurden weitere Hochkaräter der Kunstszene engagiert. Zuvorderst der auf Monumentalskulpturen fixierte Inder Anish Kapoor.

Im Park der Thermenanlage von Latronico entsteht gerade sein Earth Cinema. Bagger buddeln ein monumentales Erdloch, in das eine Treppe hinunterführt. Durch einen seitlichen Einschnitt, einen „Sehschlitz“, sollen Besucher später die verschiedenen Erdschichten entdecken können – und vielleicht auch die kulturhistorischen Ablagerungen dahinter imaginieren. Und Guiseppe Penone, einer der großen Vertreter der Arte Povera, gestaltet oberhalb des im Sommer ausgetrockneten Sarmento-Flusses ein Teatro Vegetale. Das Open-Air-Theater ist ein Work in Progress. Um das bereits bestehende, aus kolossalen Steinen geformte „Gehirn“ werden mit der Zeit Bäume, Sträucher, wachsen, zwischen Publikum und Bühne soll ein Wasserfläche entstehen. „Ich hoffe, dass dies ein wahrhaftiger Ort für Theateraufführungen wird“, sagt der Penone und blickt auf sein unvollkommenes Kunstbaby.

Auf einem sanften Hügel, oberhalb des Bergdorfes San Severino Lucano, thront Höllers Kunstwerk RB Ride. An diesem lausig kalten Sommerabend findet die Einweihung statt. Die untergehende Sonne wirft letzte matte Strahlen auf das Karussell. „Kein Karussell“, korrigiert Höller, der den Amüsierfahrbetrieb von einem Vergnügungspark gekauft und schon an zwei anderen Orten ausgestellt hat, „sondern ein Ring mit einem Durchmesser von 17 Metern, an dem 12 Gondeln hängen.“ Was aber ist die „Kunst“ dieses Readymades? Höller entfremdet das, pardon, Karussell seiner ursprünglichen Nutzung und entschleunigt es ganz extrem. Wir gondeln ungeheuer langsam, haben alle Zeit der Welt, genauer gesagt 15 geschlagene Minuten, um die umliegenden Berge und Täler zu betrachten. Das einst schwungvolle Fliehgerät ist zur Höller’schen „Meditationsmaschine“ mutiert. Wir entschweben. Wunderbar.

Entspannt sitzt auch der Künstler spätabends im Steingewölbe des Hotelrestaurants Mulino Iannarelli. Die alte restaurierte Mühle von 1745 liegt am Frido-Fluss unterhalb von San Severino. Er spricht vom „Ding, in dem man gefangen ist“, findet es einerseits „romantisch und schön“, andererseits „melancholisch und traurig“; er reflektiert über die „gestohlene Zeit“. Letztlich wolle er mit seiner Meditationsmaschine „das körperliche Vergnügen auf ein geistiges Vergnügen ummünzen“.

Leitbildvisionen

Man rede in Süditalien zu viel über die Vergangenheit, sagt Lorenzo Canova, und zu wenig über die Gegenwart. Der Soziologe aus dem Ministerium für Wirtschaftliche Entwicklung koordiniert die Aktivitäten von Arte Pollino. Viele Landstriche der wirtschaftlich rückständigen Basilikata litten unter der Abwanderung der Jugend, erklärt Canova. Daher brauche das Land „Leitbildvisionen“ und „neue kreative Ideen“. Doch machen ein paar Politfuzzis aus Rom und ein paar eingeflogene Kunstfuzzis den Unterschied aus? Ohne die Akzeptanz der lokalen Bevölkerung, wissen Canova und seine Kollegen, steht das ganze Kunstprojekt auf wackligen Füßen. Daher wurde flankierend ein Arte-Pollino-Verein gegründet – Handwerker, Hoteliers, Parkführer, Studenten –, der einen Kulturführer mit den wichtigsten Themen, Orten und Werten des Pollino entwarf. Und im nächsten Jahr werden rund um die Kapoor-Höller-Penone-Landschaftsobjekte Wanderwege angelegt sowie touristische Programme entwickelt.

Bei der offiziellen Eröffnung von Arte Pollino, vor der umzäunten Baugrube von Kapoors Earth Cinema, schwelgt der Präsident der Region Basilikata von divinità und eternità. Doch wie göttlich und ewig kann Site Specific Art sein, also Kunstwerke, die nur für einen ganz bestimmten Ort geschaffen werden und nur an diesem einen Ort ihre Kraft entfalten können? Carsten Höller sieht das nicht so eng. Kunst muss nicht mit der Landschaft verwachsen, hatte Höller über seine Meditationsmaschine gesagt. „Sie kann auch auf einem Friedhof stehen.“