: O-Saft mit Blue Curaçao
NEO-ITALO Die schwedische Sängerin Sally Shapiro und das Italo-Disco-Revival
VON THOMAS HÜBENER
Kunstlederjacken mit dicken Schulterpolstern. Spärlich bekleidete Damen, die sich auf Motorhauben räkeln. Schweißbandträger, die vor Disco-Spiegeln Foxtrott tanzen. Lange Zeit gab es kaum etwas Uncooleres, als sich zu einer Italo-Disco-Vergangenheit zu bekennen. Schon allein der Gesang! Italienische Zungen radebrechten mutig in einer ihnen hörbar fremden, offenbar nur hinsichtlich des Anbaggergrundvokabulars gepaukten Sprache. Oft ging es dabei um eine schwüle „night“, in der jemand gern „tight“ gehalten werden würde. Dabei stand der Cheesiness von Ryan Paris („La Dolce Vita“), Ken Laszlo („Hey Hey Guy“) oder Sabrina („Boys“) immer schon eine Reihe wahrer Electro-Perlen gegenüber. Ihnen kann man den Einfluss auf nicht unter Trash-Verdacht stehende Bands wie New Order, die Pet Shop Boys oder Miss Kittin And The Hacker anhören.
Zunehmend besinnt man sich dieser oft nur auf Vinyl erhältlichen Juwelen kurzlebiger Acts, die Mr Flagio, Charlie oder Klein & M.B.O. hießen. Zugleich wird am Nachbau ihrer Klangarchitektur gearbeitet. In den USA und Großbritannien, vor allem aber in Skandinavien boomt das Italo-Revival. Die wichtigste Anwärterin auf den Neo-Italo-Thron ist die Schwedin Sally Shapiro. Mit „My Guilty Pleasure“ legt sie nach dem Überraschungserfolg des Debüts „Disco Romance“ jetzt ihr zweites Album vor.
Alles, was Amy Winehouse nicht ist
Die schüchterne Büroangestellte tritt niemals live auf, singt ihre Gesangsparts stets allein ein und muss immer ein wenig mit sich kämpfen, um Interviews zu geben. Ihren musikalischen Kompagnon Johan Agebjörn lernte sie bei der Arbeit kennen. Erst nach einem Weihnachtsliedsingen entdeckten die beiden gemeinsame musikalische Vorlieben. „Du hast ja eine Italo-Disco-Stimme“, bemerkte Johan.
Eine Italo-Disco-Stimme ist dünn, vibratolos, eben alles, was Amy Winehouse nicht ist. Shapiros Gesang ist fragil und wie in Trance. Er erinnert manchmal an Stéphanie von Monaco („Irresistible“). Besungen werden die verbotene, entzogene, ersehnte, unmögliche Liebe. Die Texte zehren in voller Absicht von groschenheftartigen Klischees und brechen diese raffiniert. „Das Angenehme an unserer Zugehörigkeit zum Italo-Revival ist aber auch, dass wir nicht so gelungene Texte als Genre-Merkmal verkaufen können“, sagt Shapiro lachend.
Johans tockernde Vintage-Synthies werden von recht straffen Beats flankiert. Vor kitschigen Samples zirpender Zikaden oder grollenden Gewitterdonnern wird ebenso wenig zurückgeschreckt wie vor Handclap-Sounds und pathetischen Spoken-Word-Passagen. Erwachsene und Oberflächenverächter kann man sich kaum besser vom Leib halten als mit dieser Musik.
Den Italo-Zutaten zum Trotz erweist sich „My Guilty Pleasure“ als mehrheitsfähiges Electro-Pop-Album. Es dürfte für alle interessant sein, die Saint Etienne, die Pet Shop Boys und Robyn schätzen oder auf das zweite Werk der Norwegerin Annie warten. In puncto tanzbarer überzuckerter Melancholie mit 80er-Jahre-Flavour gibt es derzeit niemanden, der Sally Shapiro den O-Saft mit Blue Curaçao reichen kann. Wie immer bei großem Pop wohnen Euphorie und ein untergründiger Strom von Wehmut im selben Block. „Dancing“ ja, aber oft mit „tears in my eyes“.
Musik für aufgeklärte Eskapisten
Gemäß den Gesetzen der Renaissance kehrt das, was einst naiv war, aufgrund der unvermeidlichen Überdosis an Bewusstheit gebrochen zurück. Die künstlichen Aromastoffe des Genres schmecken nun noch künstlicher, der Fake wird im Zitatpop jetzt stolz gezeigt.
Neo-Italo ist Musik für aufgeklärte Eskapisten: Man kann Urlaub vom Kritisch-Sein nehmen, ohne auf das Camp-Augenzwinkern zu verzichten. Sally Shapiro setzt postmoderne Anführungszeichen, ohne in die Falle der Bescheidwisser-Ironie zu tappen. „Es ist einfach, sich über Italo-Disco lustig zu machen und dazu ironisch zu tanzen. Es ist schwer, das Genre ernst zu nehmen. Wir aber lieben es.“
■ Sally Shapiro „My Guilty Pleasure“ (Permanent Vacation/Groove Attack)