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Archiv-Artikel

Metaphysik zum Aufessen

SPEISEN Jehova ist es nicht egal, was seine Schäfchen essen. Das zeigt die grandiose Ausstellung „Koscher & Co.“ im Jüdischen Museum Berlin

Zu sehen sind selbst die Fastenregeln des Ramadan für muslimische Astronauten

VON PHILIPP GESSLER

Einige Anthropologen meinen, dem Menschen wohne ein metaphysisches Grundbedürfnis inne. Deshalb hätten die Menschen aller Kulturen, aller Regionen und aller Zeitalter Religion ausüben wollen, ja müssen. Wenige gehen sogar so weit, zu behaupten, dass der Kern aller Kultur in der religiösen, metaphysischen Betätigung liege. Ganz clevere Theologen fragen dann: Wenn es immer und überall Religion gab, ja diese Sehnsucht nach dem Metaphysischen irgendwie zu uns gehört, ist das nicht ein indirekter Beweis für die Existenz eines unsichtbaren Gegenübers, das manche Gott nennen – Religion als Antwort auf die Anfrage Gottes, um es mal in einem protestantischen Duktus zu sagen?

Die Ausstellung „Koscher & Co“, die vom Freitag kommender Woche an im Jüdischen Museum Berlin zu sehen ist, beantwortet diese Frage nicht, zumindest nicht direkt. Aber sie verbindet ein unzweifelhaftes Grundbedürfnis, ja das Grundbedürfnis des Menschen mit einer anderen Neigung vieler Menschen, einer Neigung, die manche – wie gesagt – ebenfalls als Grundbedürfnis begreifen

„Koscher & Co. Eine Ausstellung über Essen und Religion“ wird bis Ende Februar im Libeskind-Bau zu sehen sein. Und jedem, der auch nur zwei Minuten über das Thema nachdenkt, wird auffallen, wie umfassend und sinnlich es ist. Essen, Kultur und Religion sind in den meisten Zivilisationen untrennbar miteinander verwoben. Ja, gibt es überhaupt eine Religion, die nicht die Speisen der Glaubenden geformt hat? Und umgekehrt: Hat das Essen nicht auch die Religion, zumindest die Frömmigkeit geformt – man denke etwas an das ziemlich strikte Alkohol/Wein-Verbot im Islam, die Hostienverehrung im Katholizismus und die Speisegebote im Judentum.

Die Kaschrut, die jüdischen Speisegesetze, sind denn auch der Ausgangspunkt, was naheliegt für ein jüdisches Museum. Von den Regeln der Kaschrut aus blickt die Schau in zehn Ausstellungsräumen auch auf die Speisegebote und -formen anderer Religionen, von den Trankopfern der altägyptischen Hochkultur bis zu den Fastenregeln des Ramadan für muslimische Astronauten.

Der Ansatz ist sinnvoll. Denn gerade die Aussagen darüber, was koscher und was nicht koscher, was erlaubt und was verboten ist, sind im Judentum im Vergleich etwa zum Christentum oder zum Islam besonders umfangreich – und auch ausgefeilt. In den genuin christlichen Texten der Bibel, also denen des Neuen Testaments, findet man dagegen laut der Kuratorin Miriam Goldmann nur ein einziges Speisegebot, und diese auch nur ex negativo. Paulus schreibt: „Reiß nicht wegen einer Speise das Werk Gottes nieder! Alle Dinge sind rein; schlecht ist es jedoch, wenn ein Mensch durch sein Essen dem Bruder Anstoß gibt. Es ist nicht gut, Fleisch zu essen oder Wein zu trinken oder sonst etwas zu tun, wenn dein Bruder daran Anstoß nimmt“ (Römerbrief 14, 20 f). Der fromme Jude Paulus, das passt, erklärt hiermit die jüdischen Speisegesetze für sekundär, wenn sie die Gemeinschaft stören.

Der Clou: Diese paulinische Indifferenz gegenüber dem Essen isz ein Grund, weshalb sich das Christentum von einer winzigen jüdischen Sekte zu einer Weltreligion mausern konnte. Auch hier zeigt sich, wie sehr Religion und Essen ineinanderspielen. Es war und ist eben ziemlich egal, was man als Christ aß und isst – Krokodilfleisch in Kinshasa ist genauso okay wie Aalsuppe in Danzig (wenn man denn das nach Grass’ „Blechtrommel“ noch essen will).

Im Judentum sind die Speisegesetze in der Thora als religiöse Gesetze eingemeißelt. Anders im Christentum, das zwar viele Fastenregeln und Speisesitten wie etwa „Kein Fleisch am Freitag“ kennt, diese aber nicht als göttliche Pflichten im Neuen Testament festgeschrieben hat. Überspitzt formuliert: Gott ist es ziemlich egal, was seine Schäfchen speisen – Jehova dagegen ganz und gar nicht.

Für Christen ist Krokodilfleisch in Kinshasa genauso okay wie Aalsuppe in Danzig

Religiöse Speisegesetze, das ist in dieser üppigen Ausstellung mit mehr als 700 Originalen aus ganz Europa und Übersee zu lernen, haben mit Logik gar nichts zu tun. Zentral ist vielmehr der Begriff von Reinheit. Sie kommt der göttlichen Sphäre zu, während die Gläubigen durch das Einverleiben von „reinen“ Speisen diesem Göttlichen nahezukommen suchen. „Was Gott bekommt, ist rein“, sagt der Projektleiter und Kurator der Ausstellung, Bodo Baumunk. „Deshalb bleibt der Mensch rein, wenn er es isst.“

Geradezu klassisch ist dieser Gedanke in der Geschichte des Chanukka-Wunders beschrieben: Eine winzige Menge koscheren (Oliven-)Öls reichte demnach wundersamerweise acht Tage lang zur Beleuchtung der Menora im Tempel von Jerusalem aus – bis wieder neues, koscheres Öl hergestellt war. Deshalb feiern die Juden das Chanukka-Fest, meist im Dezember, mit dem Anzünden eines achtarmigen Leuchters – ein Licht pro Tag. Auch in der christlichen Eucharistie gibt es mehr als deutliche Anklänge an diese Idee der Reinheit und des Einswerdens mit dem Göttlichen.

Die Ausstellung zeigt: Das Was und Wie unseres Essens prägt unsere Identität ähnlich wie das Was und Wie unseres Glaubens (oder unseres Nichtglaubens). Der französische Philosoph Jean Anthelme Brillat-Savarin hat die Bedeutung des Essens für unsere Identität 1825 so auf den Punkt gebracht: „Sage mir, was du isst, und ich sage dir, wer du bist.“ Knapper noch sagte es ausgerechnet der Religionskritiker Ludwig Feuerbach: „Der Mensch ist, was er isst.“ Mag sein. Man hätte nur gern gewusst, was er gegessen hat.

„Koscher & Co. Eine Ausstellung über Essen und Religion“. Jüdisches Museum Berlin, ab 9. 10.