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Archiv-Artikel

Zurück aus der Anonymität

Eine Dokumentation zur Grabstätte Hamburger Widerstandskämpfer gibt erstmals Einblick in das Leben aller dort ruhenden Antifaschisten. Die Geschichte des Ohlsdorfer „Ehrenhains“ spiegelt den Umgang mit dem Andenken an Oppositionelle wider

Schicksale der Toten legen Zeugnis ab von Widerstand und dem „anderen Deutschland“Zur Hochphase des Kalten Krieges wird die Umbettung des Ehrenhains angeordnet

von Swantje Unterberg

„Dritter Weg links“, so lautete lange Zeit die kryptische Angabe, wollte man den „Ehrenhain Hamburger Widerstandskämpfer, 1933–45“ auf dem Ohlsdorfer Friedhof finden. Mittlerweile ist die Grab- und Erinnerungsstätte für 56 Widerstandskämpfer ausgeschildert und auf den Lageplänen des Friedhofs verzeichnet. Im öffentlichen Bewusstsein der Stadt ist sie dagegen nicht sonderlich tief verankert. Ursel Hochmuth, seit ihrer Jugend mit dem Ehrenhain verbunden, wirkt der Erinnerungslücke entgegen: 60 Jahre nach Kriegsende veröffentlichte die Historikerin den Band „Niemand und nichts wird vergessen“.

Hamburgs Prominenz sowie den „Opfern des Bombenkriegs“ werde auf dem Ohlsdorfer Friedhof mehr Platz und Beachtung eingeräumt, merkt Ursel Hochmuth an, obgleich der Ehrenhain auch Hamburger Bürgerschaftsabgeordneten, einem Abgeordneten des Preußischen Landtags sowie einer des Deutschen Reichstags die letzte Ruhestätte geworden sei. Als Kommunisten waren sie mehrfach in die Fänge der Gestapo geraten, hatten sich einige von ihnen in Hamburgs größter Widerstandsorganisation engagiert, der Bästlein-Jacob-Abshagen-Gruppe.

Im Ehrenhain wird nur eines kleinen Teils der Widerständler namentlich gedacht, er steht aber für alle Hamburger Antifaschisten. Die Vereinigte Arbeitsgemeinschaft der Naziverfolgten (VAN) veröffentlichte 1968 eine „Totenliste Hamburger Widerstandskämpfer und Verfolgter“, die die Namen von 1.774 Opfer nennt. Weiter wird angeführt, dass bis März 1947 insgesamt 12.119 Männer und Frauen als politische Gegner des Naziregimes anerkannt worden seien.

Nach 40 Jahren Recherchearbeit liegt mit Ursel Hochmuths Band erstmals ein Buch vor, in dem der Lebensweg aller 56 am Ehrenhain ruhender Widerstandskämpfer nachgezeichnet wird. Zu gut der Hälfte, zu 29 Antifaschisten, gab es vorab bereits Veröffentlichungen, 27 Männer und Frauen aber hat Hochmuth nun aus der Anonymität zurückgeholt.

Ihr Leben und Wirken, und ihren gewaltsamen Tod, beschreibt sie – zwecks Gleichbehandlung – in detaillierten, aber kurzen, Streiflichtern gleichenden Biogrammen. Der darin geschilderte Lebensweg wird ergänzt durch persönliche Briefe und Dokumente und, soweit vorhanden, skizzierte Portraits und Fotos der Antifaschisten. Die Schicksale der Toten legen Zeugnis ab über den 12-jährigen Widerstand und das „andere Deutschland“, in dem es Alternativen zum Mitläufertum gab. Und sie zeigen die Vielfalt des Handelns: von der Desertion aus der Wehrmacht über individuelles oppositionelles Verhalten bis hin zum organisierten Widerstand.

Die Geschichte des Ehrenhains, die Hochmuth im zweiten Teil ihres Buches detailliert beschreibt, dokumentiert hingegen den Umgang der Politik mit dem Andenken an die Antifaschistischen, zeigt Widersprüche der Bundesrepublik auf und schildert den Kampf gegen das Vergessen.

Nach Kriegsende organisieren sich aus Konzentrationslagern und Zuchthäusern befreite Häftlinge im „Komitee ehemaliger politischer Gefangener“. Unter ihnen auch Katharina Jacob, nach zweiter Ehe Witwe von Franz Jacob – und Mutter von Ursel Hochmuth. Das Komitee bemüht sich auf Ersuchen Angehöriger unter anderem um das Auffinden und Heimführen der Urnen hingerichteter Antifaschisten. Die ersten 27 Urnen werden schließlich am 8. September 1946 beigesetzt und finden neben den Gräbern der Revolutionsgefallenen von 1918–1920 eine würdige Ruhestätte.

Bis 1959 wird die Asche von insgesamt 43 Widerstandskämpfern im Ehrenhain beigesetzt, darunter auch die vier ersten Opfer der Nazidiktatur in Deutschland: August Lüttgens, Walter Möller, Bruno Tesch und Karl Wolff, im Zusammenhang mit dem „Blutsonntag“ festgenommen, wurden bereits am 1. 8. 1933 hingerichtet. Mehrfach beantragen Angehörige und die VVN Hamburg, die Todesurteile wegen „Mordes im juristischen Gewand“ aufzuheben. Erst 1992 beschließt die Strafkammer in Hamburg den Freispruch der zu Unrecht Gehenkten.

Die Totenruhe wird 1962 gestört, gewissermaßen auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges, als die Umbettung des Ehrenhains angeordnet wird. Der Senat steht seit Beginn des Kalten Krieges auf Konfrontationskurs zur VVN. Neben dem Verbot der gleichzeitigen Mitgliedschaft in SPD und VVN wird die Widmung des Ehrenmals geändert: Die 1949 ebenfalls auf dem Friedhof eingeweihte Gedenkstätte mit Erde und Asche aus Konzentrationslagern wird als „Denkmal für die Opfer nationalsozialistischer Verfolgung“ bezeichnet. Zuvor war noch die Rede vom „Denkmal der Widerstandskämpfer und im 3. Reich Verfolgten“.

Hochmuth zitiert zur Sache den Historiker Herbert Diercks: „Die Veränderungen zeigten neue Gewichtungen an: Die Überlebenden sollten nicht mehr geehrt werden. Die Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfer wurden vom Vordergrund in den Hintergrund und schließlich in die Anonymität der Bezeichnung ‚Opfer‘ geschoben.“

Politisches Kalkül hinter der Umbettung konnten die Betroffenen Hochmuth zufolge nur erahnen, denn offiziell wurde die Umlegung des Ehrenhains mit der anstehenden Neugestaltung der Grabstätte der Revolutionsgefallenen begründet. Veränderungen konnten hier jedoch nicht festgestellt werden. Der Ehrenhain wurde vom Eingangsbereich des Friedhofs mehr als hundert Meter weiter verlegt – hinter dichtes Gebüsch. Bis 2005 wurden die Überreste von 13 weiteren Widerstandskämpfern in Urnen beigesetzt – beziehungsweise ein Grabstein für sie errichtet.

Um den Fortbestand der Erinnerungsstätte auch nach der Umbettung zu sichern, gründeten Angehörige, Freunde und Mitglieder der VAN 1962 das Kuratorium Ehrenhain. In seiner Satzung war nicht zuletzt der Anspruch formuliert, die Öffentlichkeit über das Leben und den Widerstand der Kämpfer zu informieren. Ganz so, wie es Ursel Hochmuth 60 Jahre nach Kriegsende gelungen ist – auf dass nichts und niemand vergessen werde.

Ursel Hochmuth, Niemand und nichts wird vergessen. Biogramme und Briefe Hamburger Widerstandskämpfer, VSA-Verlag Hamburg 2005, 254 Seiten, 17,80 Euro