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Archiv-Artikel

Schnüffler in der Überseestadt

Immer unwahrscheinlicher wird, dass in der Überseestadt tatsächlich Wohnungen entstehen können. Jetzt prüfen Gutachter, ob Mensch und Industrie zusammenpassen. Doch ob ein Kompromiss auch rechtlich abgesichert werden kann, ist zweifelhaft

bremen taz ■ Fällt der Regierung und ihren staatliche Gesellschaften nicht noch ein juristischer Kniff ein, wird die Überseestadt abends weitgehend menschenleer sein. Der Bau von Wohnungen ist gefährdet, weil die Industrie dort besonderen Schutz genießt. Auch Wirtschaftssenator Jörg Kastendiek (CDU) ist ein Freund der Unternehmen.

„Das sieht mehr nach New York denn nach Bremen aus“, meint er gestern angesichts der Animationen, die zeigen, wie die Überseestadt in einigen Jahren aussehen könnte. Die Sanierung von Gebäuden auf dem 300-Hektar-Gelände hat begonnen, gerade wird das alte Eduscho-Werk umgestaltet, ein Großteil der Flächen vermietet. 2,5 Milliarden Euro öffentlicher und Privat-Investitionen sollen bis 2019 in die Überseestadt fließen.

Und die Wohnungen? Firmen wie die Roland-Mühle fürchten, dass sie ihren normalen Betrieb nicht aufrechterhalten können, wenn sich in unmittelbarer Umgebung Mieter ansiedeln. Die, so die Befürchtung, könnten gegen die Lärm- und Geruchsbelästigungen aus den Betrieben klagen, die zum Teil rund um die Uhr arbeiten. „Wenn Kellogg’s von uns keine Bestandssicherung bekommt, sind die weg“, sagt Hans-Peter Czellnik von der Bremer Wirtschaftsförderung, die sich mit der Bremer Investitionsgesellschaft (BIG) um die Vermarktung der Überseestadt kümmert. Anders herum findet Jan Woortman von der Firma Siedentopf, der Flächen in der Überseestadt gehören, keine Investoren für Wohnungen, weil die Rechtssicherheit fehlt. „Grundsätzliches Interesse ist aber da“, beteuert der Ingenieur.

Die BIG-Tochter Überseestadt GmbH hat drei Gutachten in Auftrag gegeben, die klären sollen, ob sich Interessen von potenziellen Mietern und ansässiger Industrie unter einen Hut bringen lassen. Denkbar wäre eine Rechtsvereinbarung, in der sich Neuansiedler mit Unternehmen einigen, dass sie eine höhere Lärm, Geruchs oder Staubbelastung akzeptieren. Einen solchen Kontrakt gibt es in der Hamburger Hafencity, dort wurde ein entsprechender Passus ins Grundbuch eingetragen. Für die BIG in Bremen keine praktikable Lösung: „Bewohner könnten trotzdem klagen, wenn sie ihre Grundrechte verletzt sehen“, erklärt Juliane Lübker, Sprecherin der BIG. Es soll geprüft werden, ob Wohnen in der Überseestadt überhaupt möglich ist. Dazu werden die Belastungen durch Staub und Lärm gemessen. Werden Grenzwerte überschritten, könne man durch Lärmschutzwände versuchen, die Wohnqualität zu sichern, so Lübker. „Wenn allerdings die Geruchsbelästigung zu stark ist, gibt es ein echtes Problem.“ Ein halbes Jahr lang wird ein Gutachter buchstäblich seine Nase in den Wind halten und riechen, ob es stinkt – „subjektiv“, sagt Lübker. Mufft es ihm zu stark, dürfen keine Wohnungen gebaut werden.

Wichtigstes Interesse der BIG bleibt, Betriebe in der Überseestadt zu halten. „Die Firmen dürfen auf keinen Fall verängstigt werden“, meint Juliane Lübker. Wegen der Lärmbelastung etwa durch Lastwagen am mitten in der Überseestadt gebauten Großmarkt hält die Sprecherin ein familiengerechtes Wohnen ohnehin nicht für wahrscheinlich. „Dort werden sich vielleicht eher Künstler in Lofts ansiedeln.“

Anfang des Jahres werden die Ergebnisse der Gutachten vorliegen. Sollten sie negativ ausfallen, ist die Gefahr groß, dass sich die Überseestadt zu einer reinen Gewerbeansiedlung entwickelt, in denen die Hochschule für Künste oder Kulturkneipen Ausnahmen bleiben. Wirtschaftssenator Kastendiek mag daran nicht glauben. „Die Überseestadt darf keinen Hinterhofcharakter bekommen. Wohnungen, Büros und Gewerbe gehören zusammen.“ Na denn. kay müller