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Archiv-Artikel

Wenn der Scheiß den Fan trifft

Großartiges Material, zwiespältiger Film: Claudia Heuermanns Dokumentation „A Bookshelf On Top Of The Sky“ über den New Yorker Avantgarde-Jazzer John Zorn

Fan zu sein kann so wehtun. „Ich kann so nicht arbeiten“, schluchzt Claudia Heuermann an einer Stelle ihres John-Zorn-Films „A Bookshelf On Top Of The Sky“, als der Meister sie gerade wieder einmal versetzt hat, „ein Jahr warte ich jetzt schon auf das Interview.“ Denn sosehr sich Heuermann mit ihrer Mütze und ihren Bildern als Künstlerin zu inszenieren sucht, so gerne sie sich am Schnittplatz aufnimmt, um sich als Filmemacherin zu zeigen: Sie ist zu allererst Fan, manischer Fan.

Von Boygroups einmal abgesehen, dürfte es auch nur wenige Musiker geben, die so sehr zur Vergötterung einladen wie Zorn, eine der Zentralfiguren der New Yorker Downtown-Szene, Chefcharismatiker und Avantgarde-Ikone, Noise-Pionier und Free-Jazz-Saxofonist, ständiger Innovator komplexer Improvisationskonzepte und selbst besessener Plattensammler und Fan diverser Musiken, von Filmsoundtracks bis zu Hardcorepunk.

Mehr als zehn Jahre ist Claudia Heuermann John Zorn gefolgt, ihm hinterhergereist, hat ihn bei Auftritten und Proben gefilmt, Interviews gemacht, ihn zu Hause aufgenommen, hat seine Platten gesammelt, riesige Zettelkästen angelegt und Aufnahmen angehäuft – durchweg wunderbares Material. Man sieht Zorn, wie er eines seiner berühmten Game Pieces probt, ein von ihm entwickeltes Format zur kollektiven Improvisation, währenddessen sich die Musiker über Symbole verständigen. Man sieht ihn in seiner Wohnung, die so sehr mit Schallplatten, Videokassetten und Büchern voll gestellt ist, dass es tatsächlich nicht einmal einen Stuhl gibt. Und auch bei einem Auftritt von Masada ist man dabei, Zorns Gruppe für jüdische Musik, die sich anhört, als hätte sich Ornette Coleman als surfender Rabbi verkleidet.

Großartiges Material – und doch funktioniert der Film leider nicht. Es mag Heuermanns obsessives Fantum sein: Das Entscheidende an John Zorn entgeht ihr leider. Wenn sie gegen Ende in die Kamera sagt, Zorn habe sie gelehrt, wie wichtig es sei, das zu machen, was man selbst will, und nicht das, was andere wollen, so ist das zwar nicht falsch, aber doch banal. Das kann man nun wirklich von jedem Künstler lernen, manchmal reicht schon die eigene Mutter.

Das Besondere an John Zorn ist etwas ganz anderes. Über fast dreißig Jahre hat er sich ein Netzwerk von Musikern und Institutionen aufgebaut, die ihm erst erlauben, das zu tun, was er tut.

Ohne das blinde musikalische Einverständnis seiner musikalischen Partner wäre keines seiner Improvisationsstücke spielbar, ohne die in vielen Jahren gewachsenen Übereinkünfte dieser Szene würde wenig dieser Musik je veröffentlicht werden (auch der Film nicht, der in der Tsadik DVD Edition erscheint, einer Unterabteilung von Zorns Plattenlabel). Ähnlich Bandleadern wie etwa Duke Ellington oder Sun Ra ist John Zorn eben nicht nur Komponist und Musiker, er ist vor allem begnadeter Koordinator und Integrationsfigur.

All das erzählt Zorn in den Interviewsequenzen auch, aber Heuermann möchte es nicht hören, Zorns Umfeld interessiert sie wenig. Stattdessen verzettelt sie sich bei ihrem Versuch, das Material durch ein kompliziertes und am Ende wahrscheinlich nur ihr selbst verständliches Verweissystem mit Bedeutung aufzuladen. TOBIAS RAPP

„A Bookshelf On Top Of The Sky“. USA 2002. Regie: Claudia Heuermann. Kino in der Brotfabrik, 28. 7., 30. 7.–3. 8. um 20 Uhr. Dt. Erstaufführung