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Archiv-Artikel

Sinfonie einer Insel in weiter Ferne

Portugal entdeckt seine Einwanderer und den weltweiten Erfolg ihrer Musik: Das erste „Africa Festival“ in Lissabon präsentierte die Musik des Kontinents und seiner lusophonen Diaspora. Vor allem die Stars der kapverdischen Sehnsuchtsmusik, oft schon weltbekannt, konnten sich endlich in ihrer Community in der Stadt über dem Tejo feiern

Emigranten wie Waldemar Bastos sind im Ausland bekannter als in ihrer Heimat Portugal

VON DANIEL BAX

Als vor rund vier Wochen ein Strandüberfall in Cascais für internationale Schlagzeilen sorgte, konnten sich konservative Portugiesen einmal mehr bestätigt fühlen, dass mit den Einwanderern aus den ehemaligen Kolonien alles nur noch schlimmer geworden sei. Zwar musste die Polizei erste Berichte, wonach eine 500 Mann starke Jugendgang die Badegäste am Strand von Cascais, der Lissabon am nächsten liegt, in die Flucht geschlagen habe, um ihnen ihre Wertsachen zu rauben, nach unten korrigiert werden: Am Ende war nur noch von 15 Verdächtigen die Rede, die festgenommen worden waren. Doch was blieb, war die Furcht vor „brasilianischen Verhältnissen“ an Portugals Stränden.

Da passte es gut, dass die Stadt Lissabon in der vergangenen Woche zum ersten Mal ein „Africa Festival“ veranstaltete, um das Bild ihrer Einwanderer, die teilweise schon seit Generationen in Portugal leben, wieder etwas geradezurücken. Als Teil der traditionsreichen Veranstaltungsreihe „Lisboa Em Festa“, die sich von Juni bis September hinzieht, feierte das Musikfest vergangene Woche Premiere. Die Konzerte fanden allesamt umsonst und draußen auf einem Hügel hoch über Lissabon statt, der eine atemberaubende Aussicht auf die Hängebrücke über den Tejo und die riesige Jesusstatue am anderen Ufer bietet. Neben Stars des Kontinents, wie dem Gitarristen Ali Farka Touré aus Mali, die als Headliner dienten, zeigte sich das Festival vor allem als Forum für die Musikszene der lusophonen Diaspora, als deren heimliche Hauptstadt Lissabon schon lange gilt.

„Afrika ist kein Kollektiv. Es ist falsch, alles in einen Topf zu werfen“, monierte der Sänger Waldemar Bastos zwar, doch die Idee sei „trotzdem gut“, musste auch er zugeben. Der angolanische Sänger lebt seit über 20 Jahren in Lissabon, ist dort aber immer noch nicht so recht heimisch geworden. In den letzten acht Jahren ist er ganze zwei Male in der Stadt aufgetreten. „Man hat mich nicht eingeladen“, erklärt er trocken. Anerkennung hat der 50-Jährige, der in Angola wie ein Volksheld verehrt wird, dafür im Ausland gefunden. „Die New York Times hat mir eine ganze Seite gewidmet, bevor das irgendjemand hierzulande getan hat“, sagt er, und eine gewisse Bitterkeit schwingt mit. Bei seinem Auftritt beim „Africa Festival“ gelang es ihm jedoch spielend, das Publikum allein mit seiner sonoren Stimme in den Bann zu schlagen. Neben melancholischen Balladen, seiner Spezialität, schwang er sich immer wieder zu schnellen Tanzstücken auf. So brandeten auf der Bühne die musikalischen Wogen, während im Hintergrund die Lichter der Autos gemächlich über die Hängebrücke am Tejo rollten. Auch Waldemar Bastos schien mit seinem Auftritt zufrieden: Zum Abschluss schwenkte er seine Gitarre wie einen Pokal und verabschiedete sich mit einem Victory-Zeichen von der Bühne.

Emigranten wie Waldemar Bastos mögen frischen Wind in die portugiesische Musikszene gebracht haben, die von Fado-Schwermut dominiert wird. Doch dass sie im Ausland bekannter sind als zu Hause, ist beileibe kein Einzelfall: Selbst eine Cesaria Evora, die ihre ersten Aufnahmen einst in Portugal machte, musste erst nach Frankreich gehen, um dort zu Weltruhm zu gelangen – und das, obwohl die kapverdische Community in Portugal die größte Minderheit stellt.

Diese Gemeinde feierte sich selbst am Sonntagabend, der ganz im Zeichen der Kapverden stand. Eindrucksvoll fegte zunächst die Sängerin Lura im karminroten Kleid über die Bühne, als wollte sie einen Preis für ihre Performance gewinnen. Die 29-Jährige wird jetzt schon als „Zukunft der kapverdischen Musik“ gehandelt, dabei ist sie eigentlich in Portugal geboren. Weil sie die traditionellen Rhythmen der Kapverden mit Soul und Pop verbindet, verkörpert sie eine neue Generation, und sie zählt zu den wenigen Komponistinnen des von Männern dominierten Genres. Auch deswegen ist sie wohl ein Idol junger Mädchen, die sich bei ihrem Auftritt in der ersten Reihe drängten.

Es ist eine Ironie der Geschichte, dass Luras Eltern einst ganz die Assimilation ihrer Tochter im Sinn hatten. Zu Hause wurde nur Portugiesisch gesprochen, denn die Kinder sollten keine Probleme in der Schule haben. Die kreolische Sprache, in der sie heute singt, lernte Lura deswegen erst als Teenager. „Die Kapverden existierten für mich nur in den Geschichten meiner Mutter“, sagt sie rückblickend; erst mit 21 Jahren war sie das erste Mal auf der Inselgruppe. „Wir hatten kein Geld, um uns die Reise zu leisten“, erzählt sie. Inzwischen ist sie jedoch regelmäßig dort, denn ihr Album „Di korpu Ku Alma“ war auch auf den Kapverden ein Hit.

Den Höhepunkt des Abends bildete jedoch das Konzert von Tito Paris, einem Veteranen der kapverdischen Musik. Den Gitarristen und Arrangeur kann man in Lissabon gelegentlich in seinem Restaurant Casa de Morna hören, ein elegantes Esslokal in modernem Design, oder in verrauchten Clubs wie dem B. Leza, in dem noch der Paartanz gepflegt wird und in den sich nur wenige Portugiesen verirren. Auf großer Bühne präsentierte Tito Paris mit einem 21-köpfigem Orchester nicht weniger als sein Lebenswerk: die Sinfonie einer Insel.

Ähnelte die Besetzung auf den ersten Blick einer Bigband nach karibischem Vorbild, so war sie doch ganz auf die Besonderheit der kapverdischen Sehnsuchtsmusik ausgerichtet. Geigen und Celli kleideten die getragenen Mornas und die tanzbaren Coladeiras in ein schwelgerisches Gewand, während die Bläser nur sparsam Akzente setzten. Und als das Publikum seine Hits wie „Danca mi Criolla“ mitsang, fügte sich auch dieses Echo in den Gesamtklang: kein Wunder, dass Tito Paris am Ende kaum von der Bühne gehen wollte. „Es wäre mein Traum“, bekannte er nach dem Konzert, „dieses Projekt auch einmal auf den Kapverden aufzuführen.“