Ozean der Weisheit

Roland Koch empfängt seinen Kumpel, den Dalai Lama. Das geistliche und weltliche Oberhaupt der Hessen und den tibetanischen Ministerpräsidenten verbindet mehr, als man glauben möchte

VON ARNO FRANK

In den südlichen Ausläufern des Himalaya liegt Dharamsala, 1.700 Meter über dem Meeresspiegel. So schroff die Berge hier den Blick nach Norden verstellen, so frei kann er im Süden über die endlose Landschaft der indischen Tiefebene gleiten. Auf Schritt und Tritt wird der Besucher zwischen den geduckten Holzhütten von diebischen Affen behelligt, bei Monsun watet er knietief im Schlamm der verwinkelten Gassen.

Auf den ersten Blick deutet nichts darauf hin, dass dieser spektakulär verwunschene Ort ausgerechnet in der eher drögen hessischen Landeshauptstadt einen geheimen Zwilling haben könnte – auf den zweiten Blick allerdings allerhand. Beide sind wegen ihrer heißen Quellen beliebt. In Dharamsala residiert der Dalai Lama (70), in Wiesbaden Roland Koch (45). Zwei Politiker, bei denen auf den ersten Blick rein gar nichts darauf hindeutet, dass sie einander irgendwie nett finden könnten. Denn das geistliche und weltliche Oberhaupt der Tibeter gilt in genau den Kreisen als vielleicht sympathischster Mensch auf dem Planeten, die sich von einem prototypischen „Machtroboter“ wie dem hessischen Ministerpräsidenten mit Grauen abwenden.

Tatsächlich aber verbindet Roland Koch und den Dalai Lama eine innige Männerfreundschaft, seit der ehrgeizige JU-Funktionär dem weisen Wandermönch erstmals begegnete. Vor 20 Jahren war das, auf einem Pflichttermin, den der ehrgeizige JU-Funktionär Koch auf Drängen eines befreundeten Unternehmers wahrnahm. Seitdem können das fiese Ekelpaket und der weise Wandermönche nicht mehr voneinander lassen. Was findet der Dalai Lama an Roland Koch? Was er wohl an allen Mächtigen findet, nämlich PR-Plattform, Teilhabe, Gehör. Und was will Koch vom Dalai Lama?

Eine Theorie liegt nahe und lautet, dass sich der als pragmatisch und berechnend geltende Christdemokrat ein wenig im Glanz der spirituellen Lichtgestalt sonnen möchte. Aber pragmatisch und berechnend war Klaus Kinkel, als er sich bei einem Empfang linkisch gegen den traditionellen Begrüßungs-Schal sträubte, den ihm der Dalai Lama umhängen wollte – der damalige Außenminister mochte die wichtigen Handelspartner in Peking nicht verprellen.

Roland Koch scheint nicht nur auf chinesische Investoren zu pfeifen, er nimmt sogar „unflätige Anrufe“ aufgebrachter chinesischer Diplomaten persönlich entgegen. Bei seiner Indien-Reise im Februar diesen Jahres brachte der deutsche Ministerpräsident es sogar fertig, es sich mit der indischen und der chinesischen Regierung gleichzeitig zu verscherzen – weil er sich nicht davon abbringen ließ, als erster westlicher Staatsmann überhaupt den Dalai Lama in seiner Exilresidenz zu besuchen. Er kam „als Privatmann“, genoss die schöne Aussicht – und schenkte dem Tibeter gestern sinnigerweise ein Fernglas.

Auch heftige Kritik aus den eigenen Reihen lässt Koch kalt. Im Vorfeld der Verleihung des Hessischen Friedenspreises bezeichnete es der christliche Unternehmer Joachim Loh als „Skandal, dass Sie als Repräsentant der Christlich Demokratischen Union Deutschland den Repräsentanten des heidnischen Buddhismus tibetischer Prägung in dieser Form würdigen“.

Vielleicht sieht Koch, der in eine erzkonservative CDU-Familie hineingeboren wurde und sich seit frühester Jugend zum Bundeskanzler bestimmt sieht, in dem wiedergeborenen Botschafter einer erzreaktionären Monarchie ja tatsächlich einen Seelenverwandten. Der Dalai Lama hat bereits angedeutet, seine nächste Inkarnation müsse „nicht notwendigerweise in Tibet“ zur Welt kommen.