: Schlechter Tag für Spitzel
Nach dem Karlsruher Urteil zur Telefonüberwachung: Der observierte Atomkraftgegner Daniel H. aus Göttingen siegt vor Gericht. Bereits in den 70er Jahren hatte die Polizei versucht, die Göttinger Anti-Atom-Szene zu infiltrieren
Die Mühlen der Justiz mahlen nicht immer langsam. Nachdem das Bundesverfassungsgericht am Mittwoch die vorbeugende Telefonüberwachung für verfassungswidrig erklärt hat, gab gestern das Göttinger Landgericht prompt der Beschwerde des von der Polizei observierten Atomkraftgegners Daniel H. statt. Das Abhören von mehr als 80 Telefonaten des Physikstudenten und seiner Mitbewohner war rechtswidrig, entschied das Gericht.
Die Göttinger Polizei hatte sich die Überwachungsmaßnahmen – neben dem Mitlauschen auch die Kontrolle von Fax- und E-mail-Verkehr – von einem Göttinger Amtsrichter genehmigen lassen (die taz berichtete). Dessen Beschluss hob das Landgericht zwar nicht formal auf, erklärte ihn aber auf der Grundlage des Verfassungsgerichts-Urteils für rechtswidrig.
Das Göttinger-Anti-Atom-Plenum, in dem Daniel H. mitarbeitet, sowie sein Rechtsanwalt begrüßten die Entscheidung des Landgerichts. Ein Vertreter des Plenums sprach von einem „ersten Erfolg im Kampf gegen polizeiliche Bespitzelung“.
Der auf Mallorca urlaubende niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann (CDU), der die vorbeugende Telefonüberwachung mit seinem Polizeigesetz erst möglich gemacht hatte, bedauerte den Karlsruher Richterspruch. Die Verfolgung von potenziellen Terroristen werde dadurch erschwert. Justizministerin und Parteifreundin Elisabeth Heister-Neumann dagegen ging vorsichtig auf Distanz zu Schünemann.
Dreist mutet die Performance der Landes-FDP an. Die Liberalen nähmen die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts „mit einer gewissen Erleichterung zur Kenntnis“, erklärte Fraktionschef Philipp Rösler. „Unsere kritische Haltung zur präventiven Telefonüberwachung war immer bekannt, und wir fühlen uns jetzt durch das Bundesverfassungsgericht bestätigt“. Die Freidemokraten hatten als Koalitionspartner der CDU das Polizeigesetz 2003 mit beschlossen.
An „einen schlechten Bond-Film“ hatte die Grünen das Vorgehen der Polizei in Göttingen erinnert. Einen Bond-Film mit abgekupfertem Drehbuch, müsste hinzugefügt werden. Nach Recherchen der taz schleuste das niedersächsische Landeskriminalamt bereits Ende der 70er Jahre zwei Beamte als Spitzel in den Göttinger Arbeitskreis gegen Atomenergie ein. Über Monate beteiligten sich die beiden Polizisten an Beratungen und Aktionen der Initiative. Mehrmals versuchten sie die Arbeitskreis-Aktivisten zu einem militanteren Vorgehen anzustiften. Der Einsatz flog auf, als sich der angebliche Wohnsitz eines der Polizisten als Scheinadresse herausstellte.
Ein weiterer verdeckter Ermittler war nach Angaben des Göttinger Anti-Atom-Plenums von Ende 1999 bis Anfang 2001 in der Umweltszene der Stadt aktiv. Auch er soll an zahlreichen Aktionen teilgenommen und bundesweite Anti-Atom-Treffen besucht haben. Reimar Paul