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Archiv-Artikel

Wettlauf um die Autismus-Gene

Nächstes Jahr schon will ein deutsch-französisches Biotech-Unternehmen einen Gentest für den frühkindlichen Autismus auf den Markt bringen

Seit einiger Zeit nehmen die Bio- und Neurowissenschaften verstärkt Krankheiten mit multifaktoriellen Ursachen ins Visier. Dazu gehören neben Depression und Schizophrenie auch neurologische Erkrankungen wie frühkindlicher Autismus. Für die Ursachen dieser inneren Zurückgezogenheit gibt es trotz umfangreicher Forschungen bislang kein umfassendes Erklärungsmodell.

Vermutlich ist Autismus auf eine Wechselwirkung mehrerer Faktoren zurückzuführen. Dennoch lässt sich aber eine zunehmende Genetifizierung der Krankheit beobachten. Jüngstes Beispiel: Ein Wissenschaftlerteam der deutsch-französischen Firma IntegraGen verkündete vor kurzem im Fachmagazin Molecular Psychiatry die Entdeckung eines Gens, das mit Autismus in Zusammenhang stehen soll. Es befinde sich auf Chromosom 16 und enthalte den DNA-Code für ein Protein, das eine wichtige Rolle bei einer für Autismus entscheidenden Gehirnfunktion spiele. Die Wissenschaftler untersuchten 116 Familien mit mindestens einem autistischen Angehörigen.

Die Identifizierung von Autismus-Genen wurde in den letzten Jahren allerdings immer wieder gemeldet. Bereits 1999 behaupteten Forscher der Universität von North Carolina, auf dem Chromosom 13 ein Gen entdeckt zu haben, das Autismus auslösen kann. Auch Chromosom 7 sei verdächtig. Dies hätten Studien an eineiigen Zwillingen gezeigt.

Ein Jahr später entdeckten europäische und US-Forscher auf den Chromosomen 2, 7, 16 und 19 bestimmte Abschnitte, die bei autistischen Kindern besonders häufig vorkommen. Zuletzt meinten US-Mediziner im April 2004, eine Verbindung zwischen einem erhöhten Risiko für Autismus und verschiedenen Genvarianten auf Chromosom 2 herstellen zu können. Erst wenn alle fünf bis zehn verantwortlichen Gene identifiziert seien, wäre aber eine verlässliche Prognose möglich, betonte Joseph Buxbaum von der Mount Sinai School of Medicine in New York.

Der Wettlauf um die Identifizierung der genetischen Grundlagen von Autismus speist sich vor allem aus der Hoffnung, einen lukrativen Gentest entwickeln zu können. Das Unternehmen IntegraGen hat in den vergangenen zwei Jahren bereits fünf US-Patente auf Autismus-Gene und deren gewerbliche Nutzung erteilt bekommen. Sechs weitere Patente wurden in diesem Jahr beantragt. Sie sind aber noch nicht erteilt. Auf Grundlage dieser Patente plant IntegraGen, bis 2006 einen Gentest für Autismus auf den Markt zu bringen. Der Test wird das Vorhandensein von vier Genen testen, die mit Autismus in Verbindung gebracht werden. Bereits im Alter von 18 Monaten soll der Test ein erhöhtes Risiko für Autismus feststellen können, hofft Jörg Hager, Chief Scientific Officer bei IntegraGen.

Ins Bild der genetisch bedingten Autismus-Erkrankung passt allerdings nicht, dass viele betroffene Kinder ohne Symptome geboren werden und die Krankheit erst entwickeln, nachdem sie zwei Jahre alt geworden sind. Die Gen-Hypothese erklärt auch nicht den drastischen Anstieg der Autismus-Fälle während der vergangenen 15 Jahre in den USA. In einer Studie des Weidler-Verlags schreibt die Verhaltenstherapeutin Claire Molnár, die Identifizierung eines Autismus-Gens bleibe schon deshalb „ein zweifelhaftes Vorhaben“, da sich „ein Gen nicht eindeutig einem Merkmal zuordnen“ lasse.

FABIAN KRÖGER