Süssmuth: Migranten an die Macht!

SCHWARZ-GELB CDU-Politikerin und Türkische Gemeinde wollen Migranten im Kabinett – etwa den Liberalen Philipp Rösler. Heute beginnen die Koalitionsverhandlungen

BERLIN ap/taz | Die CDU-Politikerin Rita Süssmuth macht sich für Migranten und Frauen in einem schwarz-gelben Kabinett stark. Es gehöre zur repräsentativen Demokratie, dass bei der Kabinettsbildung alle Bevölkerungsgruppen vertreten seien, sagte Süssmuth der taz. „Der Bundesrepublik würde es gut anstehen, dabei auch die Migranten nicht zu vergessen.“ Ein Regierungsvertreter mit Migrationshintergrund „müsste eine Selbstverständlichkeit sein“.

Die Türkische Gemeinde in Deutschland unterstützte die Forderung. „Es wäre ein starkes Signal, etwa den FDP-Politiker Philipp Rösler ins Kabinett aufzunehmen“, sagte ihr Vorsitzender Kenan Kolat am Sonntag. Ein Bundesminister mit Migrationshintergrund hätte einen wichtigen Vorbildcharakter für Migranten, außerdem verstehe er aufgrund eigener Erfahrung Gefühlslagen vieler Menschen besser. Der niedersächsische Wirtschaftsminister Rösler wurde in Vietnam geboren und von seinen deutschen Eltern adoptiert.

Kolat betonte, ein Migrationshintergrund an sich sei keine Qualifikation. „Doch Parteien und Verwaltungen müssen geeignete Migranten fördern, damit sie später für hohe Funktionen infrage kommen.“

Heute beginnen CDU, CSU und FDP mit ihren Koalitionsverhandlungen. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte angekündigt, die neue Regierung werde bis zum 9. November, dem Jahrestag des Mauerfalls, im Amt sein. FDP-Chef Guido Westerwelle zweifelte diesen Zeitplan am Wochenende an. Gründlichkeit sei viel wichtiger „als die Frage, ob wir uns ein paar Tage länger auf den Hosenboden setzen und verhandeln“, sagte er der Bild am Sonntag. Vor allem in der Sicherheits- und in der Gesundheitspolitik liegen die Vorstellungen der Parteien weit auseinander. Die angestrebte Koalition beschrieb Westerwelle als ein langfristiges politisches Projekt – und reagierte damit auf den Vorwurf einer fehlenden Vision. „Unser Anspruch muss es sein, das zweite Jahrzehnt dieses Jahrhunderts zu gestalten.“

FDP und CDU äußerten am Feiertagswochenende scharfe Kritik an Ver.di-Chef Frank Bsirske. Der Gewerkschaftsvorsitzende hatte in einem taz-Beitrag (Freitagsausgabe) zum Protest gegen Schwarz-Gelb aufgerufen. „Die Verteilungskämpfe drohen sich zuzuspitzen. Es ist Zeit aufzustehen!“, schrieb Bsirske. In der Wirtschaftskrise werde das schwarz-gelbe Programm die „Probleme nicht lösen, sondern eher verschärfen“.

FDP-Generalsekretär Dirk Niebel nannte den Aufruf „einmalig in der nun 60-jährigen Geschichte des Deutschen Gewerkschaftsbundes“. Bsirske verhalte sich „vordemokratisch“, indem er die Wahlentscheidung der Bevölkerung ignoriere. Der hessische CDU-Fraktionschef Christean Wagner nannte den Aufruf einen „unglaublichen Vorgang“. Auch Unions- und FDP-Anhänger gehörten der Dienstleistungsgewerkschaft an „und bezahlen das Gehalt von Herrn Bsirske“. Der DGB wollte Bsirskes Äußerung nicht kommentieren. „Wir bewerten nicht unsere Vorsitzenden“, sagte eine Sprecherin. US

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