: Der Wurm im Kopf
UNTERGANG In der US-Serie „H+“ zeigt das Internet seine ganze Grausamkeit und wird zum Ausgangspunkt einer Apokalypse: Menschen werden von einem Computervirus getötet. Zu sehen sind die Folgen – im Internet
VON LALON SANDER
Im dritten Kellergeschoss des Parkhauses gibt es keinen Empfang mehr. Während der Fahrt nach unten plant die namenlose Beifahrerin die Urlaubswoche: Vor ihren Augen erscheinen blau glühende Symbole, mit ihren Fingern tippt sie eins an: die Wettervorhersage für San Francisco. Ihr Begleiter hört ihr nicht zu und fährt auffällig langsam. „Schaust du schon wieder Football?“, herrscht die Frau ihn an. „Entspann dich“, erwidert er, „ich hab die Transparenz auf 5 Prozent heruntergestellt.“ Sie parken, steigen aus, laufen Richtung Ausgang, vor ihnen fällt ein Dutzend Menschen tot um.
Klatschen zum Einschalten
„Hunderte Millionen Menschen standen heute in langen Schlange, um als Erste den Computer im Gehirn auszuprobieren“, erzählt ein Nachrichtensprecher zu Beginn der ersten Folge der Webserie „H+“. Ein Drittel der Menschheit hat den Chip implantiert, der ihnen das mühelose Surfen ohne Geräte erlaubt. Man klatscht, um die Anzeige einzuschalten, die Bilder werden direkt ins Gehirn übertragen, steuert sie mit Gesten, klatscht wieder, um sie auszuschalten. Beim Autofahren Fernsehen zu schauen ist illegal.
Und dann kommt der Virus, der sich fast augenblicklich durch das Netzwerk verbreitet und alle, die das Implantat tragen, tötet. Fahrerlose Autos fahren aufeinander auf, Flugzeuge stürzen ab. Verschont bleiben nur diejenigen, die kein Implantat haben – und diejenigen, die keinen Empfang haben, wie das Paar im Parkhaus.
„H+“ ist ein weiterer Baustein aktueller Technikfantasien: Beflügelt von dem Erfolg von Smartphones und den Möglichkeiten des ständigen Onlineseins scheint es nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis der Mensch mit Maschine und Internet verschmilzt.
Einen ersten Schritt in diese Richtung hat Google ja bereits mit dem „Project Glass“ gemacht, bei dem der Rechner in der Hand von einer Datenbrille ersetzt wird. „H+“ denkt diese Entwicklung spannend und überdies noch realistisch weiter. Was wären die Vorzüge einer solchen Verschmelzung – und was die Gefahren? Trotz des Science-Fiction-Szenarios bleiben die Folgen einfach gemacht und alltäglich und bieten viele Anknüpfungspunkte für die jetzige, gegenüber „H+“ fast technikfrei wirkende Realität.
„Angelpunkt der Geschichte ist dieses Ereignis, und die Folgen wippen zwischen der Vergangenheit und der Zukunft. Eine Folge könnte fünf Jahre nach dem Ereignis stattfinden, die nächste wiederum zehn Jahre zuvor“, sagte der Drehbuchautor John Cabrera der US-Zeitschrift Wired.
Produziert wird die Serie von der Time-Warner-Tochter Warner Bros. Verbreitet wird es über Googles Plattform YouTube. Die Onlineveröffentlichung soll es Nutzern ermöglichen, selbstständig durch die Geschichte zu navigieren: Statt der Erscheinungsfolge könnten sie die Serie in chronologischer Folge anschauen oder aus den Augen bestimmter Protagonisten verfolgen.
Doch zunächst müssen Zuschauer darauf warten, dass die Folgen überhaupt veröffentlicht werden. Zum Serienstart am Mittwoch wurden gerade einmal zwei der fünfminütigen Episoden veröffentlicht, nun erscheinen wöchentlich zwei Folgen, insgesamt sollen 48 online gestellt werden.
Die kurzen Happen sind etwas unbefriedigend: Nach den ersten zehn Minuten der Pilotfolgen will man eigentlich mehr sehen. Andererseits haben bereits andere Webserien gerade mit diesem Konzept für den Gelegenheitskonsum auf YouTube Erfolge gefahren: Die preisgekrönte Serie „The Guild“ etwa, deren sechste Staffel in diesem Jahr erscheint.
In Deutschland gesperrt
Für Zuschauer in Deutschland dürfte „H+“ etwas schwieriger, aber nicht unmöglich zu empfangen sein, da sie auf YouTube für deutsche IP-Adressen gesperrt ist. Grund ist, dass in Deutschland und weiteren Ländern ein „gesonderter Vertrieb“ geplant ist. Doch Form und Inhalt von „H+“ sind perfekt für Menschen ausgelegt, die gern in langen Schlangen stehen, um die neueste Technik auszuprobieren. Ob die darauf warten wollen, darf bezweifelt werden.