Missbrauch des Feminismus

Zwanzig Musliminnen reflektieren Fremd- und Selbstbilder muslimischer Frauen. Dabei wenden sie sich gegen zahlreiche westliche Klischees

Die westliche Debatte über muslimische Frauen konzentriert sich auf die unterdrückte weibliche Sexualität in islamischen Gesellschaften. Zudem weisen die DiskutantInnen meist weit von sich, dass man den Diskurs unter muslimischen Frauen fast vollkommen ignoriert und sich eher der Pflege der eigenen Projektionen widmet.

Zu Unrecht, wie eine Aufsatzsammlung belegen möchte, die von der ägyptischstämmigen Soziologin und Islamwissenschaftlerin Houda Youssef für den Orlanda Verlag herausgegeben wurde. Hier kommen endlich einmal Musliminnen zu Wort – eine rare Ausnahme in den aktuellen Debatten. Zwanzig Autorinnen haben die Fremd- und Selbstbilder muslimischer Frauen reflektiert. Versammelt sind so bekannte Namen wie Fatima Mernissi und Nawal El- Sadaawi, arabischstämmige Amerikanerinnen wie Leila Ahmed, Azza Karam und Therese Saliba oder auch – leider wenige – Autorinnen, die in arabischen Ländern leben, wie Alifa Rifaat.

Die Mehrzahl der Texte ist vor allem mit dem Zurückweisen des vom Westen generierten Fremdbildes beschäftigt – wohl auch, weil die meisten Verfasserinnen im Westen leben. Wichtige Autorinnen etwa aus Pakistan oder dem Iran, die feministische Positionen innerhalb des Islam entwickelt haben, fehlen in dem Band leider. Wirklich übel nehmen kann man der Herausgeberin diese eher rückwärts gewandte Auswahl an Texten nicht. Denn sie setzt damit dort an, wo die deutsche Debatte nun einmal steht.

Und so scheint es durchaus berechtigt, dass mehrere Autorinnen erneut erklären, warum der westliche Wunsch, die unterdrückte Muslimin vom Schleier zu befreien, von ebendieser Muslimin nicht selten zurückgewiesen wird. Leila Ahmeds grundlegender Text beschreibt, wie Kolonisatoren die Emanzipation der arabischen Frau mit der Negierung der islamischen Kultur verknüpften.

Anstatt Frauen zu Rechten und höherer Bildung zu verhelfen, wollten sie, dass die arabischen Frauen keinen Schleier mehr tragen und sich nicht mehr im Haus „verstecken“. Der Feminismus wurde von ihnen missbraucht, so Leila Ahmed, um die kulturelle Assimilation der muslimischen Frauen an die bürgerlichen Westfrauen voranzutreiben. Denen aber wurde damals in vielen Ländern Europas ebenfalls das Wahlrecht verweigert. Dass man seine Rechte auch mit Schleier wahrnehmen könnte, war in dieser Perspektive undenkbar.

Immer noch stehe der westliche Feminismus in der Tradition dieses „kolonialen Feminismus“, so Ahmeds Vorwurf. Er verwechsle heute immer noch den Kampf um Rechte für Frauen mit dem Kampf gegen die Kultur des Islam. Der Kopftuchstreit ist beredtes Beispiel dafür. Und so nimmt es nicht Wunder, dass mittlerweile in den muslimischen Ländern drei Arten von Feminismus bestehen, wie Azza Karam in ihrem Beitrag erläutert:

Eine kleine Gruppe teils exilierter „säkularer Feministinnen“ sieht in der Säkularisierung der Gesellschaften das Heil der Frauen, damit der Islam nicht mehr als Vorwand dienen kann, Frauen ihre Rechte vorzuenthalten. Ihnen stehen „islamistische Feministinnen“ gegenüber, die die Agenda des politischen Islam um die Forderung erweitern, dass der traditionellen Rolle der Frau im Haus mehr Wertschätzung gebühre. Westliche Gleichheitskonzepte lehnen sie ab. Ausufernde Erwerbsarbeit etwa mache aus Frauen nur Männer und sei damit „unnatürlich“.

Die dritte Gruppe der „muslimischen Feministinnen“ bewegt sich dazwischen. Sie wollen den Islam nicht so zurückdrängen wie die säkularen Feministinnen, aber Gleichheit im Sinne der Menschenrechtskonvention fordern sie dennoch. Ihre Strategie ist die Neuinterpretation der islamischen Quellen, in denen sie den gesamten Menschenrechtskanon bereits angelegt sehen.

Dass es breite Übergangszonen zwischen diesen Ansätzen gibt, bebildern die weiteren Texte des Bandes. So würden die konvertierten deutschen Sozialwissenschaftlerinnen Irmgard Pinn und Marlies Wehner sicherlich jeden Islamismusvorwurf weit von sich weisen. Dennoch stellen sie die Frage, ob Erwerbsarbeit als Emanzipationsvehikel nicht ein westliches Modell sei, das muslimische Frauen zu Recht nicht einfach übernehmen. Nawal El-Saadawi dagegen besteht gut marxistisch darauf, dass Fortschritte bei den Frauenrechten immer mit der zunehmenden ökonomischen Unabhängigkeit von Frauen einhergegangen seien. Der Islam passe sich wie jede Religion als Überbau durchaus den politischen und ökonomischen Gegebenheiten an, betont sie. Andere Autorinnen erklären, wie absurd ihnen der gesamte Emanzipationsdiskurs unter der Bedingung eines völkerrechtswidrigen Angriffs des Westens auf ein muslimisches Land vorkomme. Und wer ums ökonomische Überleben kämpft, hat für die Reflexion seiner Unterdrückung ohnehin wenig Kapazitäten frei.

Zwar bleibt nach Lektüre der sehr heterogenen Texte unklar, wie eine genuin muslimische Strategie für Frauenrechte aussehen könnte. Doch wer das Unbehagen der Musliminnen mit dem Westfeminismus bisher nicht verstand, wird diesen Band mit großem Gewinn lesen. HEIDE OESTREICH

Houda Youssef (Hg.): „Abschied vom Harem? Selbstbilder – Fremdbilder muslimischer Frauen“. Orlanda Verlag, Berlin 2004, 368 Seiten, 17,50 Euro