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Archiv-Artikel

Ein Platz an der Jade

Der Kaiser ist wieder hoch im Kurs in Wilhelmshaven. Voll patriotischen Elans will die Stadt gemeinsam mit der Oldenburgischen Landschaft die Sonnenseiten des Monarchen würdigen

Die negativen Seiten des Kaisers sind bekannt – überlassen wir sie doch den Anderen!

von Denis Bühler

Einen „Platz an der Sonne“ wollte der letzte deutsche Kaiser Wilhelm der II. sich und seinem Reich sichern. Zum Dank sichert ihm die Stadt Wilhelmshaven einen Platz am Jadebusen – gemeinsam mit der Oldenburgischen Landschaft. Anfang des Jahres hatte Niedersachsens Kulturminister Lutz Stratmann (CDU) infolge der Verwaltungsreform die regionale Kulturförderung den 13 so genannten Landschaften übertragen. Damals wehrten sich diese Gebietskörperschaften gegen den Ruf, traditionalistisch ausgerichtet zu sein. Zumindest die Oldenburgische Landschaft scheint ihn nun zu bestätigen.

Denn mit der Begeisterung für den Kaiser ist das so eine Sache: Man erinnere sich an die berüchtigte Hunnenrede zur Niederschlagung des Boxeraufstands im Juli 1900: „Kommt ihr vor den Feind, so wird derselbe geschlagen! Pardon wird nicht gegeben! Gefangene werden nicht gemacht! Wer euch in die Hände fällt, sei euch verfallen!“, stachelte er seine Soldaten auf, nannte ihnen den – wenig humanen – König Etzel als Vorbild und wünschte sich, dass „es niemals wieder ein Chinese wagt, einen Deutschen scheel anzusehen!“ Das klingt nun nicht gerade politisch korrekt.

Trotzdem hat man im Wilhelmshavener Wasserturm erst kürzlich eine Wilhelminismus-Bibliothek eingerichtet. Und dem soll am 15. September die Gründung der „Gesellschaft für wilhelminische Studien“ folgen. Die Idee ist bestechend und einfach. Schon seit Jahren versucht der Verein „Bürger für Wilhelmshaven“ den Turm zu sanieren. Nun hätten „viele Bürger Interesse angemeldet an der wilhelminischen Vergangenheit der Stadt“, behauptet Wilhelmshavens Kulturdezernent Jens Graul. Wirklich genannt werden indes nur Hellmut Strobel vom Kunst- und Kulturkreis Rastede und Jörg Michael Henneberg. Der Historiker ist stellvertretende Geschäftsführer der Oldenburgischen Landschaft. Und Strobel erwarb die Privatbibliothek des auf Wilhelm II. spezialisierten Berliner Soziologen Nicolaus Sombart und vermachte sie der Wilhelminismus-Gesellschaft. Die Stadt Wilhelmshaven stellt den Wasserturm zur Verfügung, übernimmt gemeinsam mit der Oldenburgischen Landschaft die Geschäftsführung des Vereins. So wäre den Wilhelminismus-Begeisterten ebenso geholfen wie den Wasserturmsanierern. Und alle hoffen nun auf Mäzene. Interessant wäre wohl, den Spendenfluss zu beobachten, um zu sehen, wo sich noch heute Kaiser-Fans tummeln. Denn Wilhelm II. hat seinen zweifelhaften Ruf nicht nur durch seine unverhohlen imperialistische Politik und die oft brutalen Mittel ihrer Umsetzung erworben. Auch seine Persönlichkeit wirft Fragen auf. Weil er mit einem verkrüppelten Arm zur Welt gekommen sei, so wird behauptet, habe sich sein Selbstbewusstsein nie befreien können von dem Eindruck, kein ganzer Mann und vollwertiger König von Preußen zu sein. Geplagt von Depressionen, zeigte sich Wilhelm II. nur bei Sonnenschein öffentlich – wenn Kaiserwetter war.

Wilhelminismus – das bezeichnet im Sprachgebrauch weniger den Entwurf einer Gesellschaft, als ein Erscheinungsbild à la Kaiser. Dazu gehören dessen Uniformbegeisterung und seine spektakuläre Bartpflege ebenso wie pompöse Militärparaden. Kurz: Ein gigantisches Repräsentierbedürfnis.

Die Vereinsgründer sehen als ihre Aufgabe, die „andere“ Seite Wilhelms II. zu beleuchten und die wilhelminische Periode in der Stadtgeschichte Wilhelmshavens aufzuarbeiten. Als die „andere Seite“ Wilhelms verstehen sie seine angebliche kulturgeschichtliche Bedeutung. Die wiederum hat Henneberg aber entdeckt und in einem Buch dargelegt: Es handelt sich um Wilhelms Begeisterung für Archäologie, sein Engagement für Kunst und seinen Einsatz für Kultur. Man denke nur an die Hunnen!

„Wir sind kein monarchistischer Zirkel“, wies Wilhelmshavens Kulturdezernent Jens Graul schon im Frühjahr eventuelle Missverständnisse zurück. In Pressemitteilungen des Vereins wird die „sehr einseitige Betrachtung“ Wilhelms II. angeprangert. Sie solle endlich ein Ende finden. Ziel der Gesellschaft wäre es, den Monarchen und seine Zeit als schillerndes Gesamtkunstwerk in Szene zu setzen. Seine königliche Hoheit Christian Sigismund Prinz von Preußen war als Schirmherr der Eröffnungssoirée schon mal vor Ort und hat sich das Ganze angeschaut. Er schien zufrieden.

Vielen gilt Wilhelm II., unter dessen Herrschaft der Erste Weltkrieg ausbrach und der jegliche demokratische Reformen konsequent verhindert hat, als ein Wegbereiter Hitlers. Auf Kritik jedoch reagiert Kulturdezernent Graul gelassen. Der Kaiser, so sagt er sei nun einmal ein wichtiges Element in der Stadtgeschichte. Deshalb sei es wünschenswert, dass sich die Bürger der Stadt damit auseinander setzen und auch mit diesem Teil ihrer Geschichte identifizieren. Und ganz wichtig: Sie sollen auch Neues erfahren. Über die negativen Seiten des Kaisers, so Graul, wisse man zu Genüge Bescheid. Das könne man vertrauensvoll anderen überlassen.