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Archiv-Artikel

Im Pakt mit der Ewigkeit

Kurator, Innenarchitekt, Ideengeber, Art Director und ausstellender Künstler: Douglas Gordon präsentiert und inszeniert sich selbst und viele andere Künstler in „The Vanity of Allegory“ in der Deutschen Guggenheim Berlin. Dabei scheint in jeder Künstlerpose das Bildnis des Dorian Gray fortzuleben

von HARALD FRICKE

Das Rouge auf den Wangen sitzt perfekt, auch der Lippenstift ist sauber im satten Rot von Chanel aufgetragen. Der Stylist hat gute Arbeit geleistet: In ein paar Minuten wird sich Andy Warhol als professionelle Drag Queen vor der Kamera zeigen. Die Polaroid-Fotos dieser Session wiederum wurden von Warhol signiert, denn selbst der schwule Spaß von 1981, der die Vorlage für das Plakat zur Ausstellung „The Vanity of Allegory“ in Berlin liefert, war für ihn ganz Produkt einer nach Ruhm und Unsterblichkeit strebenden Kunstexistenz. Hatte er nicht 1977 in seinem Philosophie-als-Gossip-Buch „From A to B (and back again)“ geschrieben, dass Drag Queens einen daran erinnern, „that some stars aren’t just like you and me“?.

Bei Douglas Gordons Maskeraden, die nun direkt neben sieben Drag-Warhols in der Deutschen Guggenheim Berlin hängen, ist man sich dagegen nicht sicher, ob der Höhenflug funktioniert. Sein bleich geschminktes Gesicht und seine mal schwarze, mal platinblonde Perücke sind längst nicht so passgenau angelegt wie Warhols Travestie – nicht einmal die Brusthaare hat er sich für die 2005 entstandene Fotoserie „staying home / going out“ abrasiert. Gordon scheint eher verkleiden zu spielen, sein Look ist Zitat, oder wie es als Bildtitel zu einer seiner früheren Fotografien von 1996 heißt: „Selfportrait as Kurt Cobain, as Andy Warhol, as Myra Hindley, as Marilyn Monroe“.

Jede Ähnlichkeit mit den Berühmtheiten, von denen selbst die Kindermörderin Hindley seit den Sechzigerjahren zumindest in Großbritannien eine Mediengröße darstellt, ist bei Gordon zur Nebensache geworden. Stattdessen treibt er den Verweis auf all die Celebrities, die vor ihm da waren, ins Absurde: Nicht von ungefähr stammt das eher unscheinbare und verkaterte Selbstbildnis aus dem Jahr, als die Karriere für ihn besonders steil nach oben ging – immerhin gewann Gordon damals den Turner-Preis.

Überhaupt muss man sich das Leben des 1966 in Glasgow geborenen Künstlers immer hart an der Grenze zwischen Popstartum und Boy-next-door-Alltag vorstellen. Gordon ist ein Kumpeltyp, der sich im Fußballstadion wohl fühlt und es trotzdem bis ins Museum of Modern Art geschafft hat, das demnächst eine Retrospektive seiner Arbeiten zeigen wird.

Seine auf 24 Stunden verlangsamte Fassung des Hitchcock-Thrillers „Psycho“ ist zu einer der Video-Ikonen der Neunzigerjahre geworden, seine Doppelprojektionen mit Szenen aus „Taxi Driver“ oder „Der Exorzist“ waren auf der Biennale in Venedig und bei Kasper Königs Skulpturen-Parcours in Münster zu sehen. Vor allem aber hat sich Gordon in unzähligen Objekten, Fotos und Videoarbeiten damit beschäftigt, wie er sich selbst sieht – Zerrbilder, Doppelgänger und andere Gespenster inklusive.

So war seine Ausstellung 2002 in Bregenz der Geschichte von Robert Wringhim gewidmet, jenem finsteren Charakter aus James Hoggs’ Spuknovelle „Die privaten Memoiren und Bekenntnisse eines gerechtfertigten Sünders“, mit dessen gespaltener Persönlichkeit sich Gordon schon seit längerem identifiziert. Zuvor hatte er bereits 1994 eine Soundinstallation eingerichtet, bei der man in einem blau beleuchteten Raum lauter Sixties-Hits hören konnte, die seine Mutter – gemeinsam mit ihm? – in den Monaten vor seiner Geburt auch gehört hatte.

Kein Zweifel, Gordon setzt gerne auf Pathos, Überwältigung und auf die großen Fragen nach dem Sinn des Lebens. Das gilt auch für seine Ausstellung in der Berliner Guggenheim-Dependance, in der es vor Referenzen wimmelt. Da ist zunächst einmal die weitläufige und lichte Museumsarchitektur, deren minimalistische Raumgestaltung sich durch eine geschickt von Gordon eingebaute Spiegelwand verdoppelt, so dass sich der Betrachter endlos beim Betrachten von Kunst betrachten kann, „die ihrerseits zweimal sichtbar ist“, wie Nancy Spector im Katalog anmerkt. Was wie ein beherzter Griff tief in die Trickkiste der Theorie wirkt, hat doch recht pragmatische Gründe: Hinter der Trennwand befindet sich ein speziell für die Ausstellung konzipiertes Kino, in dem eine Auswahl von Gordons Lieblingsfilmen läuft, darunter Godards „Elf Uhr nachts“, Rouben Mamoulians „Dr. Jeckyll and Mr. Hyde“, ein bisschen Kubrick, Oshima, Pasolini und natürlich Walt Disneys „Peter Pan“ auch, schließlich liegt das Kino bei Gordon ja jenseits der realen Welt, auf der anderen Seite des Spiegels eben.

Tatsächlich hat Gordon für „The Vanity of Allegory“ neben dem ziemlich camp-verliebten Filmprogramm und einem halben Dutzend eigener Arbeiten auch noch eine Group Show mit zwölf Künstlern des letzten Jahrhunderts zusammengestellt. Dabei geht es um so erhabene Themen wie Tod und Vergänglichkeit, aber irgendwann waren sie alle für Gordons Werdegang auch deshalb wichtig, weil bei ihnen das Spiel mit der Selbstdarstellung einen zentralen Platz einnimmt. Matthew Barney begegnet einem gleich mehrfach als bocksfüßiger Faun; Damien Hirst ist mit zwei Glasvitrinen aus dem Jahr 1991 vertreten, die die Vorstufe zu seinen Formaldehydbecken mit Haien, Kühen und Schafen bildeten; und auf Robert Mapplethorpes „Self-Portrait“ von 1988 sieht man den ausgemergelten Fotografen, der nur ein Jahr später an Aids starb. Sehr konkret meint Vanitas hier die Eitelkeit, die Feier der Einmaligkeit alles irdischen Lebens – noch und erst recht im Angesicht des Todes.

Allen voran steht jedoch einmal mehr Marcel Duchamp, dessen weibliches Alter Ego Rrose Selavy auf einem Foto von Man Ray lächelt. Gordon treibt derweil Schabernack mit einem anderen berühmten Selbstporträt, für das sich Duchamp einen fünfzackigen Stern auf dem Hinterkopf ausrasieren ließ. Unter dem Titel „Proposal for a Posthumous Portrait“ kann man jetzt einen von Gordon aufgesockelten Schädel betrachten, in den das gleiche Muster gefräst wurde. Soweit der Kalauer, als kunsthistorisches Schulterklopfen von Kollege zu Kollege.

Dabei sind Ernst und Ironie bei Gordon nie zu trennen. Indem er sich auf berühmte Vorbilder bezieht, reflektiert er auch deren aktuellen Stellenwert, macht in der Parodie oft auch deren Fallhöhe deutlich, wenn sich die Diskursfront ändert. Deshalb die Umkehrung im Ausstellungstitel, der bei Gordon bewusst auf die „Eitelkeit der Allegorie“ ausgerichtet ist. In jeder Künstlerpose scheint das Bildnis des Dorian Gray fortzuleben, scheinen die ausgewählten Beispiele ihren Pakt mit der Ewigkeit manifestieren zu wollen. Aus dieser konsequent dem Mythos vom Genie ohne Verfallsdatum folgenden Lesart der Kunst zieht zuletzt vor allem Gordon einiges an Energie. In Berlin ist er alles in einem: Kurator, Innenarchitekt, Ideengeber, Art Director und ausstellender Künstler. Er ist Gleicher unter nicht minder prominenten Gleichen und zugleich deren Vordenker, nach dessen Konzept sich alles ineinander spiegelt, von Jeff Koons’ Edelstahlbarock bis zur wandfüllenden Textapotheose eines Lawrence Weiner. Dadurch entsteht am Ende eine neue, weit zeitgemäßere Allegorie – im Selbstporträt des Künstlers als Netzwerkbetreiber. Über so viel Vermarktungssinn hätte selbst Warhol gestaunt.

Bis 9. Oktober, Deutsche Guggenheim Berlin. Katalog 35,- €