berliner szenen: Keine Flugzeuge überm Haus
Früher, also vor Corona, ging mir die laute Stadt manchmal ziemlich auf die Nerven. Wenn nachts die Jugendlichen in Horden durch unsere Straße zogen, von einem Park in den anderen, mit Bierkästen und Musikboxen und Gebrüll. Dann saß ich oft senkrecht im Bett. Und wenn sie ihre Probleme morgens um vier in unserem Vorgarten diskutierten, hab ich schon mal um Ortswechsel gebeten. Wir wohnen im Erdgeschoss. Wir hören jede knallende Autotür, jedes Gespräch im Hausflur, wachen immer kurz auf, wenn um spätestens halb sechs der Zeitungszusteller kommt. Ach ja, und dann ist da noch die Einflugschneise von Tegel.
Seit Mitte März ist alles anders. Gefühlt sind Autos abgeschafft, der Strom von Fußgängern, Joggern und Radfahrern in unserer Straße reißt erst bei Einbruch der Dunkelheit ab. Autos sind eher selten. Fast, als wären wegen Corona auch die Tankstellen geschlossen. Irgendwie schön. Und weil ich jetzt auch tagsüber dauernd an meinem Schreibtisch sitze, sehe ich diesem friedlichen Laufen und Radeln auch den ganzen Tag zu. Morgens höre ich beim – nun krisenbedingten – viel zu frühen Aufwachen die Tauben gurren. Abends nach neun scheint niemand mehr unterwegs zu sein.
Die krasseste Veränderung habe ich erst gar nicht bemerkt. Es gibt keine Flugzeuge mehr über unserem Haus. Hatten wir früher einen stabilen 2-Minuten-Rhythmus von Flugzeugen und ein immer laxeres Nachtflugverbot, ist es jetzt still. Vielleicht ist mir das nicht so aufgefallen, weil ich kaum noch rausgehe. Außer morgens zum Joggen. Und abends für einen kurzen Spaziergang. Da habe ich es auch gemerkt: Ein Brummen, weit oben ein blinkendes Licht. Was ist das denn? Ach ja, ein Flugzeug! Ich wünsche mir, dass die nicht wiederkommen. Und dass die Radfahrer bleiben.
Gaby Coldewey
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