: Mission okay, Agent geflohen – vor Langeweile
SERIOUS GAME Microsoft hat ein kostenloses Lernspiel konzipiert, bei dem Jugendliche spielerisch lernen sollen. Über die Risiken im Netz erfahren sie leider nichts
So sind sie, die Jugendlichen, heutzutage: Am Computer rumdaddeln, das können sie! Aber wie man eine Tabellenkalkulation macht oder wofür die Buchstaben USB stehen, das wissen sie nicht! Die Initiative „IT-Fitness“ will dem abhelfen. Denn IT-Kenntnisse sind mittlerweile in jedem Beruf gefragt – im Unterricht begegnen die Kids digitalen Medien aber so gut wie nie. Daher haben sich die Partner der Initiative ein Onlinespiel ausgedacht. Zu den Initiatoren zählt neben Microsoft unter anderem auch die Deutsche Bahn, der Branchenverband Bitkom, die Bundesagentur für Arbeit, der Zentralverband des Deutschen Handwerks, Randstad und Signal Iduna.
Das Spiel nennt sich „Agent Attack IT“ und spekuliert auf die Computergame-Affinität eines Großteils der Jugendlichen. Eine Umfrage zum Thema kommt zu dem wenig überraschenden Ergebnis, dass jeder zweite Jugendliche meint, mit Computerspielen besser lernen zu können. Also darf die Zielgruppe der 14- bis 20-Jährigen in die Rolle eines Agenten schlüpfen, der als IT-Experte getarnt in der pseudogeheimnisvollen Stadt „SerioCity“ seine Agentenqualitäten beweisen muss.
„SerioCity“ ist eine wenig subtile Anspielung auf den trendigen Namen für die spielerische Wissensvermittlung mit Hilfe von Computerspielen, „Serious Games“. Deren primäres Ziel, der Erwerb von Wissen ohne Leistungsdruck, ist zunächst lobenswert. Und auch naheliegend – schließlich spielt schon unter den 10- bis 15-jährigen jeder Dritte regelmäßig Computerspiele. Aber bedarf es für die Umsetzung einer solchen Idee im Bereich IT nicht vielleicht mehr als konstruierter Ausbilder mit den originellen Namen I und T?
Punkte für USB-Erkenner
Neben diesen beiden Trainern trifft der Spieler mit seinem Agenten-Avatar auf Mitarbeiter einer Agenten-Kaderschmiede, denen er bei IT-Problemen hilft. Jede richtige Antwort auf Fragen nach Serverleistung, wo welches Kabel beim Rechner eingesteckt wird oder nach der Bedeutung der Buchstaben WLAN oder USB in USB-Stick wird mit Gadgets belohnt. Und damit, dass die Spieler schließlich über das Internet direkt gegeneinander antreten und sich in ihrem IT-Wissen messen. Nur, wer will das?
Inzwischen haben sich seit dem Start des Spiels zehntausende Agenten registriert, aber wer das Spiel aus Neugierde einmal durchgespielt hat, wird es vermutlich vermeiden, jemals wieder zurückzukommen. Ständig unterbrechen stereotype Charaktere das Spiel und reden endlos auf die Spieler ein, was einen Großteil der durchschnittlichen Spieldauer von gerade mal 45 Minuten einnimmt. Dabei wird immer wieder darauf hingewiesen, wie wichtig IT-Kenntnisse sind. Darüber hinaus entbehrt das Spiel leider jeder weiteren Existenzberechtigung.
Ein ähnliches Problem hat auch das Serious Game „Genius“, das jungen Spielern beibringen soll, wie Politik funktioniert. Die Komplexität der Sachverhalte wird darin geradezu bizarr vereinfacht und der Spielverlauf durch permanente Aufforderungen à la „Hänge Wahlplakate auf“ unterbrochen – fast wie eine Vorlage für die gefloppte ZDF-Politcasting-Show „Ich kann Kanzler“.
Spiel als Deckmäntelchen
Das Problem dieser gut gemeinten und dann leider doch recht schlecht gemachten Themen-Lernspiele ist eben diese Zweckorientierung unter dem Deckmäntelchen eines Spiels. Die IT-Kenntnisse, die für das Spiel „Agent Attack IT“ nötig sind, basieren auf dem IT-Fitness-Test der Initiative, wo ebenfalls Fragen wie „Was ist ein Attachment“ und „Mit welcher Tastenkombination mache ich einen Neustart“ abgefragt werden.
Das Ergebnis wird mit einer Urkunde attestiert, die man auch den Bewerbungsunterlagen beilegen kann. Hier soll also potenziellen Arbeitgebern nachgewiesen werden, was der Bewerber drauf hat, und das Spiel ist das Lern-Instrument. Spielend lernen ist aber nicht dasselbe. Und die jugendlichen Spieler sind nicht so naiv, dass sie nicht merken, dass ihnen da was untergeschoben werden soll. Wenn hingegen bei Spielen wie „Anno 1602, 1503 und 1701“ oder „Die Siedler“ Wissen über Geschichte und Kulturen vermittelt wird, passiert das ohne einen vordergründigen Zweck. Die Spiele sind darüber hinaus um einiges einfallsreicher und fantasievoller entwickelt.
Natürlich ist es ernüchternd, in welch vorformatierte Bahnen kindlicher Widerspruchsgeist durch Computerspiele gelenkt wird. Etwa wenn ein Kind, das sich beim Restaurantbesuch langweilt, plötzlich sagt: „Also, wenn wir jetzt hier bei den Siedlern wären, würde ich einen Aufstand machen, weil hier zu wenig Unterhaltung ist.“ Da würde man sich in der Tat ein Spiel wünschen, das Kindern die Möglichkeit gibt, Strukturen zu durchbrechen und Alternativen zu schaffen – aber dafür fehlt sowohl Entwicklern als auch Herstellern bisher der Mut.
Nichts über Risiken 2.0
Angesichts „Agent Attack IT“ drängt sich die Frage auf: Wenn man Computerkenntnisse schon unbedingt als Spiel unter Jugendliche bringen will und dieses kostenlos im Netz anbietet, wo die einzelnen Spieler dann auf andere treffen – warum lernen sie dann nichts über Chancen und Gefahren des Web 2.0, der Newsrooms und sozialen Netzwerke?
Wie man seine Daten schützt, wie auf virtuelle Stalker reagiert werden kann, wie ich mir einen Blog einrichte und wie ich mit dem Wissen auf Wikipedia umgehe, wo nämlich die Antworten auf jede IT-Fitness-Frage sekundenschnell abzurufen sind, nicht aber wie ich diesen Überfluss an Informationen filtere? Das ist doch die Realität, mit der die Jugend von heute täglich konfrontiert ist und womit sich ein Lernspiel, das mündige Netz- und IT-Bürger ausbilden möchte, beschäftigen sollte. JULIA NIEMANN