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Archiv-Artikel

Merkel zwangsfrei

Zögernd und undeutlich spricht sich die Kanzlerkandidatin gegen eine Pflicht zur privaten Altersvorsorge aus

BERLIN taz ■ Das Zögern beweist, dass sie jedenfalls darüber nachgedacht hat. Und die Formulierung beweist, dass sie nicht darauf festgenagelt werden will. Am Wochenende erklärte Unions-Kanzlerkandidatin Angela Merkel im Fernsehen, dass sie gegen eine Zwang zur privaten Altersvorsorge ist. Merkel antwortete auf die Frage, ob das Riester-Modell für die Rente zur Pflicht werden müsse: „Nein, das muss es nicht.“ Wenn die Lohnzusatzkosten sinken würden und die Menschen finanziell entlastet wären, gebe es „auch wieder Spielraum, um zum Beispiel für die eigene Altersvorsorge etwas zu tun“.

Seit die Klagen des Rentenkassen-Chefs Franz Ruland über seine Auszahlungsnöte das Rententhema vor einer Woche in den Wahlkampf gespült haben, muss die SPD erklären, dass alles halb so wild ist. Und die Union muss erklären, dass alles halb so wild kommt. Die Nerven von 20 Millionen Senioren, einem Drittel der Wählerschaft, sind zart.

Ruland hatte zwar bloß auf die aktuellen Belastungen der Rentenkassen hingewiesen. Sie sind Folge der Einnahmeflaute, die durch die Arbeitslosigkeit bedingt ist. Doch nahmen der Rentenexperte Bert Rürup und Sozialministerin Ulla Schmidt (beide SPD) dies zum Anlass, höhere Löhne zu fordern. Logik: Mehr Lohn macht mehr Rentenbeitrag. Problem: Wer die Sozialabgaben senkt, um die Arbeitskosten für die Arbeitgeber zu senken, kann schlecht gleichzeitig mehr Lohn verlangen.

Rürup erklärte deshalb, dass „eine Erhöhung der gesamtwirtschaftlichen Effektivlöhne von zum Beispiel 1,4 Prozent“ sowohl „beschäftigungsfreundlich“ sei als auch die Rentenkassen füllen würde. Außerdem würde die von ihm entwickelte Rentenformel endlich greifen, die das Rentenniveau senkt und so die Rentenkassen weiter entlastet.

Selbst wenn die aktuelle Arbeitsmarkt- und Rentenkrise gelöst werden sollte: Als ausgemacht unter Experten gilt, dass die Rente für große Teile der Bevölkerung langfristig nicht über Sozialhilfeniveau zu halten ist. Die Armut der Zukunft wäre dann wieder Altersarmut.

Deshalb hat jüngst etwa CSU-Sozialexperte Horst Seehofer gefordert, die Altersvorsorge zur Pflicht zu machen. Nur so kämen die staatlichen Zuschüsse dafür auch den Schlechtverdienern zugute und nicht bloß dem vorsorgewilligen Mittelstand. Das ursprüngliche Konzept des damaligen Ministers Walter Riester (SPD) sah 1999 die Verpflichtung auch vor. Es scheiterte an der Diffamierung als „Zwangsrente“.

ULRIKE WINKELMANN