: Familie im Osten, Schule im Westen
COMIC Zwischen Doku und historischem Reiseführer: für „Berlin – Geteilte Stadt“ von Susanne Buddenberg und Thomas Henseler lieferten Zeitzeugen Geschichten und Bildvorlagen
VON WALDEMAR KESLER
Das politisch-historische Wissen deutscher Schüler ist sehr gering – zu diesem Schluss kam eine aktuelle Studie der FU. Nun haben Susanne Buddenberg und Thomas Henseler einen Comic vorgelegt, der da Abhilfe schaffen könnte: „Berlin – Geteilte Stadt“. Anlässlich des 51. Jahrestages des Baus der Berliner Mauer stellten die beiden Autoren ihren dokumentarischen Comic-Band in einer bebilderten Lesung in der Buchhandlung ocelot in Mitte vor. Mit ihrem Buch wollen sie „Jugendlichen Diktatur begreiflich machen“.
Die Idee zu diesem Projekt, an dem das Duo ein Jahr lang gearbeitet hatte, kam während der Arbeit an ihrem vorherigen Band „Grenzfall“ auf. Darin sieht man, wie Punks am 27. November 1987 auf der Zionskirche ein Transparent anbringen, um gegen die Beschlagnahmung der Umweltbibliothek zu protestieren, die ein wichtiger Treffpunkt der Oppositionsbewegung gewesen war. Das Transparent wurde auf der Empore der Zionskirche gemalt. Auf dem Boden ist die Schrift noch heute lesbar. Das machte Susanne Buddenberg und Thomas Henseler klar, dass die Erinnerung an historische Entwicklungen den Orten, an denen sie stattfanden, buchstäblich eingeschrieben ist.
Drehkreuz der Zeit: Bahnhof Friedrichstraße
Die Handlungsorte, an denen sich die fünf Episoden zwischen Mauerbau und Mauerfall abspielen, waren ihnen genauso wichtig wie die Geschichten selbst. „Berlin – Geteilte Stadt“ ist ein historischer Reiseführer, mit dem man den Spuren der Geschichte nachgehen kann.
Der Comic erinnert daran, dass etwa die Bornholmer Brücke ein Grenzübergang war und 1989 dort die ersten DDR-Bürger nach Westberlin ausreisen konnten. Der Bahnhof in der Friedrichstraße spielt eine prominente Rolle in der Episode, die das Autorenduo im ocelot vorlas. Die Schülerin Regina Zywietz muss da eine der wichtigsten Entscheidungen in ihrem Leben alleine treffen: Sie verlässt am 16. August 1961 ihre Familie, um weiter in Westberlin zur Schule zu gehen und anschließend an der FU studieren zu können. In der Zeit vor dem Mauerbau konnten Schüler aus Ostberlin noch eine Schule im Westteil der Stadt besuchen. Regina Zywietz hatte in der Berta-von-Suttner-Schule in Reinickendorf eine der sogenannten Aufbauklassen besucht, weil sie wegen „politischer Unzuverlässigkeit“ keine Ostberliner Oberschule besuchen durfte. Ihr Vater war Pfarrer und Akademiker, wodurch die Familie in der DDR zum unerwünschten Fremdkörper geworden war.
Susanne Buddenberg las im Anschluss an die Bilderlesung auch aus dem Erinnerungsbuch „Immer auf der Hut. Ost-Schüler in West-Berlin. Als die Mauer dazwischenkam“ vor, das eine der Grundlagen für den aktuellen Comic abgab. Dabei kam zum Vorschein, wie bewusst sich Regina Zywietz entgegen allen Widerständen für ihren Weg entschieden hatte. Ihr Lehrer hatte dem Mädchen mit dem Ablehnungsbescheid für die Oberschule den Weg dafür ebnen wollen, ihre Ausbildung im Westen fortzuführen. Sie selbst hatte gewusst, dass sie an einer Universität im Osten auf verlorenem Posten gestanden hätte. Nach dem Mauerbau blieb ihr nichts anderes mehr übrig, als die DDR zu verlassen.
Originalfotos als Grundlage für den Comic
Um das Zeitkolorit wiederherzustellen, haben Susanne Buddenberg und Thomas Henseler Fotomaterial ausgewertet, das ihnen die Zeitzeugen zur Verfügung gestellt hatten. Wie schon bei „Grenzfall“ kam es denen anfangs seltsam vor, dass ihre Geschichte ausgerechnet in einem Comic verarbeitet werden sollte. Das Medium ist in Deutschland so schlecht beleumundet, dass sie sich erst nicht vorstellen konnten, dass es sich um ein ernstes Projekt handelt. Da sich aber die Autoren bei den einzelnen Arbeitsschritten eng mit den Zeitzeugen abstimmten, konnten sie ein Vertrauensverhältnis herstellen.
Auf dem privaten Fotomaterial, das sie nutzen durften, sieht man, wie sehr auf den gezeichneten Bildern der historische Alltag eingefangen ist und die damalige Lebenswelt widerspiegelt. Susanne Buddenberg und Thomas Henseler wollen vor allem ein junges Lesepublikum erreichen. Auch deshalb ist der Comic eine geeignete Form, um jungen Lesern zu zeigen, wie das Leben mit der Mauer war. Die beiden Illustratoren suchten im Zeitzeugenarchiv der Gedenkstätte Berliner Mauer ganz bewusst nach damals jungen Protagonisten, damit sich junge Leute besser in die historische Lage hineinversetzen können. Kurze Texte erläutern nach den jeweiligen Episoden den politischen Hintergrund.
So könnte „Berlin – Geteilte Stadt“ auch helfen, die Wissenslücken der Schüler zu stopfen, indem es anschauliches Unterrichtsmaterial hergibt. Der Comic hilft dabei, die Stadt mit historischem Blick zu betrachten.
■ „Berlin – Geteilte Stadt: Zeitgeschichten“. Avant-Verlag, 97 Seiten, 14,95 Euro