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Archiv-Artikel

Ein Platz für Oskar

Er kam, sah und siegte: In Nordrhein-Westfalen kürt die Linkspartei Oskar Lafontaine zu ihrem Spitzenmann

AUS ESSEN PASCAL BEUCKER

Nein, Karl Marx steht bei der Linkspartei offenbar nicht mehr allzu hoch im Kurs. Gerade einmal eine Stimme erhielt der linke Altmeister bei der Wahl ihres Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl von den Mitgliedern der umbenannten nordrhein-westfälischen PDS – und die wurde auch noch für ungültig erklärt. Ihr neuer Stern am roten Himmel trägt einen anderen Namen: Oskar Lafontaine.

Bei seinem Einzug am Samstagmittag in den Saal „Deutschland“ des Essener Congress Centers hatten sie den einstigen SPD-Vorsitzenden noch recht frostig empfangen. So begrüßen ihn einige Aktivisten der PDS-nahen Jugendorganisation [’solid] auf ihre Weise: Unter tosendem Beifall ziehen sie zum Podium mit einem Transparent. „Links ist, wo keiner fremd ist“ steht darauf – eine deutliche Distanzierung von Lafontaines umstrittener „Fremdarbeiter“-Formulierung.

Doch der Applaus täuscht. Lafontaine muss nicht bangen, dass sein Comebackversuch in den Niederungen der PDS-Diaspora verschütt geht. Auch wenn den in Essen versammelten rund 260 – von insgesamt etwa 1.200 – Parteimitgliedern so manche seiner Positionen und Äußerungen unüberhörbar Unbehagen bereiten: Die meisten haben begriffen, welche große Chance ihnen der sozialdemokratische Volkstribun mit dem zurückgegebenen SPD-Parteibuch nach fünfzehn trostlosen Jahren der PDS im Westen bietet. Und um letzte Zweifler kümmert sich der große Zampano persönlich – mit einer Anleihe bei Marx. Um 13.41 Uhr betritt Lafontaine die Bühne. Sein erster Satz: „Ein Gespenst geht um in Europa, es ist das Gespenst der Linkspartei.“ Das wärmt das linke Herz. Mehr hätte er eigentlich gar nicht mehr sagen müssen.

Aber Lafontaine spricht vierzig Minuten lang. Und der Saal liegt ihm zu Füßen. Sein rhetorisches Feuerwerk wird immer wieder von Jubel unterbrochen. Auch als er den Medien und den politischen Gegnern eine „einmalige Diffamierungskampagne“ vorwirft. So sei er aus den Reihen der anderen Parteien als Hassprediger und Rattenfänger diffamiert worden: „Wollen sie Wähler als Ratten beschimpfen?, frage ich diese Parteien.“ Der „Gipfel der Geschmacklosigkeit“ sei allerdings, dass ihn Joschka Fischer mit dem ermordeten holländischen Rechtspopulisten Pim Fortuyn verglichen habe: „Ich war bereits Opfer eines Attentats!“

Zum Ende beschwört Lafontaine noch eindringlich das fragile Linksbündnis aus PDS und Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG): „Geht fair miteinander um“, appelliert er. „Wir dürfen uns jetzt nicht mehr ein Bein stellen!“ Dann beschließt er seine Rede mit einem Zitat von Victor Hugo: „Nichts ist mächtiger als eine Idee, deren Zeit gekommen ist.“

Der Rest ist nur noch Formsache: Bei seiner Wahl zum Spitzenkandidaten kann sich Lafontaine über eine achtzigprozentige Zustimmung freuen: Das WASG-Mitglied erhält 193 Stimmen. Für seinen Gegenkandidaten, den 47-jährigen Klever Linksparteiler Axel Gonder, votieren hingegen nur 26. 11 Stimmberechtigte enthalten sich.

Anders als am Wochenende zuvor in Bayern gingen die Linksparteiler an Rhein und Ruhr auch in den folgenden Wahlgängen pfleglich mit ihren „Kooperationspartnern“ von der Wahlalternative um: Gemäß dem Vorschlag des NRW-Landesvorstandes der Linkspartei schafften hinter der auf Platz 2 gewählten früheren PDS-Bundestagsabgeordneten und Gewerkschaftssekretärin Ulla Lötzer mit Inge Höger-Neuling auf Platz 3, Hüseyin Aydin auf 6 und Jürgen Klute auf Platz 10 gleich drei weitere von der WASG nominierte Kandidaten den Sprung auf einen der zehn als aussichtsreich geltenden vorderen Listenplätze. Um möglichen Ärger mit dem Landeswahlleiter zu vermeiden, waren Höger-Neuling und Klute vor der Versammlung noch schnell in die PDS eingetreten.

Allerdings folgte die Linkspartei-Basis trotzdem nicht allen Vorgaben ihres Vorstands: Auf Platz 5 gab es eine faustdicke Überraschung. Nicht die vom Vorstand nominierte Katina Schubert machte das Rennen, sondern die bei den Parteistrategen als zu links in Ungnade gefallene Ulla Jelpke. Die 53-jährige ehemalige Bürgerschaftsabgeordnete der Hamburger GAL, die bereits von 1990 bis 2002 für die PDS im Bundestag saß und heute als Redakteurin bei der früheren FDJ-Zeitung junge Welt arbeitet, konnte sich nach tumultartigen Szenen in der Stichwahl durchsetzen.

Außer in Nordrhein-Westfalen erstellte die PDS auch noch in sieben weiteren Bundesländern ihre Landeslisten. In Brandenburg wird Parteichef Lothar Bisky die Liste anführen, gefolgt von Landtagsfraktionschefin Dagmar Enkelmann. Der parteilose Richter am Bundesgerichtshof, Wolfgang Neskovic, wurde auf Platz 4, WASG-Kandidat Steffen Hultsch auf Platz 6 gewählt. Seine Parteifreundin Isabell Simon landete in Mecklenburg-Vorpommern auf Platz 5. Hier steht Ex-PDS-Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch an der Spitze.

In Hamburg bilden der parteilose 67-jährige Völkerrechtsprofessor Norman Paech und die WASGlerin Ursula Caberta das Listenführungsduo, in Hessen PDS-Bundesvorständler Wolfgang Gehrcke und Wahlalternativler Werner Dreibus. In Bremen stehen Linkspartei-Landeschef Klaus-Rainer Rupp und Antonie Brinkmann von der WASG ganz vorne.

In Thüringen schaffte es hingegen erwartungsgemäß kein WASGler auf einen aussichtsreichen Listenplatz. Spitzenkandidat hier ist PDS-Bundeswahlkampfleiter Bodo Ramelow. Auf Platz 3 steht die ehemalige HR-Chefredakteurin Luc Jochimsen. Direkt hinter ihr folgt der ebenfalls parteilose DGB-Landeschef Frank Spieth.

Der Bundespartei folgend, benannten sich die bisherigen PDS-Landesverbände zudem jeweils mit großen Mehrheiten in Linkspartei um. Teilweise führen sie allerdings weiterhin noch „PDS“ als Zusatz im Namen – auf Plakaten und Wahlzetteln soll der aber nicht auftauchen.