: Die Mutter der Cosmo Girls
Sie war die Stimme der sexuellen Befreiung der US-amerikanischen Frauen in den 60er Jahren. Als Helen Gurley Brown 1965 die Chefredaktion des Magazins Cosmopolitan übernahm, war die Zeitschrift kurz vor der Pleite –fünfzehn Jahre später hatte sie die Auflage fast vervierfacht und ihrer Leserinnenschaft eine Identität verpasst: Das „Cosmo Girl“ war jung, berufstätig, sexuell und finanziell selbstständig und genoss Affären, wann immer sich die Gelegenheit bot.
Am Montag ist Helen Gurley Brown – HGB, wie alle sie nannten – im Alter von 90 Jahren in New York gestorben, doch die US-Gesellschaft polarisiert sie auch nach ihrem Tod. HGB vertrat eine Art Postfeminismus, schon bevor die eigentliche feministische Bewegung durchgestartet war. Sie bezeichnete sich zwar selbst als Feministin, aber in der Frage der Sexualität und der Beziehung zu Männern kamen die feministischen Vordenkerinnen mit ihr nicht zurande, sie nicht mit denen und die Konservativen mit beiden nicht.
Ihr Buch „Sex and the Single Girl“ hatte sie schon 1962 auf den Markt gebracht. Damals war sie gerade 40 geworden und seit drei Jahren verheiratet mit David Brown, ihrem Mann, der 2010, nach 51 Jahren Ehe starb. Mit 37 zu heiraten, war unglaublich spät – doch HGB vertrat, dass sie keine Sekunde des Singledaseins und der ausschweifenden Affären und kurzen Beziehungen missen wollte, und gab Tipps, wie das zu bewerkstelligen sei; eine kleine Kulturrevolution.
Bis 1997 leitete sie Cosmopolitan, und in den späten Jahren schien sie Verschiedenes nicht mehr so richtig zu begreifen. Heftige Kritik zog sie auf sich, als sie die Gefahr einer HIV-Infektion für heterosexuelle Frauen schlicht leugnete. Zwar trat sie weiterhin in unzähligen Fernsehshows auf, und ihre ruhige, immer leicht ins Ironische gleitende Stimme zog noch immer, doch ihre mehrfach gelifteten Gesichtszüge ließen sie immer mehr wie eine Maske aus früherer Zeit erscheinen.
In den USA, wo puritanisches Gehabe auf konservativer Seite seit über einem Jahrzehnt eine Renaissance erfährt, wirkt ihre Botschaft dennoch modern und fortschrittlich. Sie wird fehlen.
BERND PICKERT