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Archiv-Artikel

Die Fänger im Mais

Die öffentlich angekündigte Zerstörung eines Genmais-Feldes bei Strausberg gerät zur Materialschlacht. Umweltschützer jagen zu Fuß genmanipulierte Pflanzen. Die Polizisten jagen auch – mit Räumpanzer, Hubschrauber, Hunden und Pferden. Wer dabei mehr Getreide platt getrampelt hat, ist ungeklärt

„Fragen nach der Verhältnismäßigkeit beantworten wirnicht im Einsatz“

AUS HOHENSTEIN ULRICH SCHULTE

In der Mitte jedes Wirbelsturms gibt es eine Zone, in der absolute Windstille herrscht. Die beiden Polizisten auf dem Einsatzlaster mit Flutscheinwerfern halten die Gesichter in die Sonne, ihre Hebebühne haben sie runtergefahren, kein Feind in Sicht. Entspannt winkt ein anderer rüber zum Corpus Delicti, ab und zu bellt ein Polizeihund, sonst zirpen die Grillen. „Gucken Sie sich ruhig um, ist ebent ’n janz normalet Feld.“ Der Mais, um den es hier gehen soll, steht übermannshoch.

Das Wort „normal“ entbehrt an einem Sonntagnachmittag wie diesem nicht einer gewissen Ironie. Denn jenes Feld veranlasste die Polizei am Wochenende zu einer Materialschlacht, es war Gegenstand einer bundespolitischen Debatte, es lockte Naturschützer aus ganz Deutschland in die brandenburgische Provinz. Die Initiative „Gendreck weg!“ (www.gendreck-weg.de) hatte dazu aufgerufen, den Genmais zu zerstören – „Feldbefreiung“ hat sie das Platttrampeln mit Ansagen genannt. Das Dorf Hohenstein am Rande des Naturparks Märkische Schweiz – 30 Kilometer östlich von Berlin – sollte zum Fanal zivilen Ungehorsams werden (taz berichtete).

Michael Grolm kneift die Augen zusammen. Schon fast drei Uhr ist es, und der 33-jährige Berufsimker ist noch nicht mal in der Nähe dessen, was er kaputtmachen will, „um etwas zu bewahren“, wie er sagt. Über das blonde Haar hat er seinen Imkerhut gestülpt, der helle Leinenanzug kontrastiert schön mit dem roten „Gendreck weg“-Logo. Eine Stunde später als geplant durften die DemonstrantInnen ihr Camp auf dem Biohof im Nachbarort verlassen, endlich kommt Hohenstein in Sicht. Das Zeug rückt näher. Das Zeug, das ist manipulierter Mais der Sorte MON 810 vom US-Konzern Monsanto (siehe Kasten).

„Die Koexistenz mit normalen Pflanzen ist nicht möglich. Meine Bienen halten sich nicht an Gesetze der Menschen, wenn sie Pollen sammeln.“ Grolm hebt die Stimme, wenn er über das Zeug redet, auch dann, wenn die aus Berlin angereiste Trommelgruppe mal Pause macht. Kalkulierte Erregung gehört zum Demo-Geschäft, ebenso die stählernen Mienen der Jungpolizisten. Für sie sind Grolm und seine Mitstreiter Straftäter in spe.

Es sind rund 300 DemonstrantInnen, die am Ortsschild vorbeiziehen. Sehr viele junge Leute sind dabei, mit Rastalocken oder hennagefärbtem Haar. Ein Alt-Kreuzberger schiebt sein Damenrad neben der Familie aus Hohenstein, der Biobauer aus dem Umland läuft neben französischen Gentechnik-Gegnern und die aus Dresden angereiste Familie wird später beklagen, dass die Polizeikette den Weg zu ihrem geparkten Auto dicht macht.

Michael Grolm, der dies alles mit einem anderen Imker organisiert hat, stammt aus Baden-Württemberg. Ist schon der Genmais durch den global agierenden Multi Monsanto unverhofft ins Dorf eingefallen, ist auch der Protest eine Nummer zu groß für Hohenstein. Sie tragen Plakate („Macht euch die Erde untertan. Monsanto.“) und rufen den Sprechchor „Gen-dreck-weg!“. Manche ändern dies spontan in „Pip-rek-weg!“, was leicht ist, weil man nicht aus dem Rhythmus kommt. Jörg Piprek ist der Landwirt, der das manipulierte Saatgut ausgebracht hat.

Angenommen, 300 Flamingos würden im Gänsemarsch an der Feldsteinkirche vorbeidefilieren, sie könnten kein größeres Staunen hervorrufen. Die Dörfler stehen mit nacktem Oberkörper in ihren Vorgärten, das Flaschenbier in der Rechten. Zwei pubertierende Jungs kauern auf Kisten mit Mineralwasser, 1,50 Euro die Flasche. Eine alte Frau blickt verständnislos auf den Auftrieb: „Das kostet ja alles Geld …“ Ihr Begleiter konkretisiert: „Ansonsten sagen wa aba janüscht.“ Dem Örtchen ist das Ganze unheimlich. In jeder Hofeinfahrt parkt ein Polizeibus, wer weiß, was die alles mithören, bloß nichts Falsches sagen jetzt.

Neben der Dorfwiese blockiert die Polizei mit Bussen die Hauptstraße, Beamte in Kampfanzügen drängen die DemonstrantInnen aufs Gras ab, es gibt erste kleine Rangeleien. Es ist halb vier und Michael Grolm baut sich für eine Pressekonferenz vor einem Haufen Maispflanzen auf, die die Aktivisten in den Tagen vorher ausgerupft haben. „Alle Parteien müssen sich klar äußern, ob sie Gentechnik in der Landwirtschaft wollen oder nicht – damit die Leute wählen können.“ Man kann davon ausgehen, dass beim Genmais-Feld immer noch nur das Grillenzirpen zu hören ist. Aber dies soll sich ändern.

Denn als die Menge auf der Wiese innerhalb weniger Minuten seltsam schrumpft, wird es ernst für den Genmais und damit auch für Herrn Wilde. Thomas Wilde ist ein nicht unsympathischer Polizeisprecher mit Schnauzbart und Doppelkinnansatz, leider haben ihn dutzende Journalistenfragen in einen Floskelautomaten verwandelt. „Ich empfinde die Situation so, dass die angeblich so friedlichen Demonstranten versuchen, in Kleingruppentaktik einzusickern.“ Zu Deutsch: Jetzt probieren viele DemonstrantInnen über Nebenstraßen und Trampelpfade, in Richtung Genmais weiter zu gehen – schließlich ist die verbotene Zone 250 Meter um das Feld noch weit weg.

Um sie zu schützen, werde pro Demonstrant ein Polizist in die Provinz entsandt, hatte Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) zuvor angekündigt. Tatsächlich sind es 280 Beamte aus Brandenburg, Berlin und von der Bundespolizei, die sich in mehreren Ringen rund um den Streitacker postiert haben. Ein Räumpanzer (Wilde: „Sonderfahrzeug mit Schiebeschild-Vorrichtung“) steht bereit, ein Hubschrauber kreist den ganzen Tag, zwölf Beamte patrouillieren auf Pferden (Wilde: „Der rückwärtige Raum wurde mit geeigneten Mitteln gesichert“). Zu den Kosten des Aufmarsches schweigt die Behörde. Sie werden den Ernteertrag des Feldes um ein Mehrfaches übersteigen.

Der Strategie der UmweltschützerInnen kommt der Schönbohm’sche Sicherungswahn gelegen. Die Anti-AKW-Bewegung folgte beim Protest gegen Castor-Transporte immer der Ägide: Wenn es richtig teuer wird, denkt die Politik über ihren Unsinn neu nach. Gentechnik-Gegner Grolm argumentiert ähnlich: „Nach diesem Polizeieinsatz werden sich Bauern und Politiker in Zukunft genau überlegen, ob der Anbau von manipulierten Pflanzen Sinn macht.“

Fernab vom Dorfwiesentrubel, auf der Landstraße, an der das Feld liegt, ist es unheimlich leer, nur der Helikopter knattert. Dann braust ein Rettungswagen vorbei. Susanne Mähne gehörte zu einer kleinen Gruppe, die versucht hat, sich durch ein Getreidefeld heranzuschleichen. Einsatzwagen der Polizei seien herangerast und teils im Feld stehen geblieben, berichtet sie. „Die Beamten gingen aggressiv vor, schubsten uns und drückten Leute zu Boden.“ Eine Polizistin verlor die Kontrolle über ihren Polizeihund, er verbiss sich in den linken Unterarm einer 62-jährigen Frau. Sie musste im Krankenhaus Strausberg behandelt werden, bestätigt Polizeisprecher Wilde.

In umliegenden Roggen- und Haferfeldern bläst die Polizei zur Treibjagd. Drei Mädchen, alle Anfang 20, sind bereits in einen Polizeibus verfrachtet. Zwei tragen Handschellen, der Dritten haben Polizisten die Hände mit Kabelbindern auf den Rücken geschnürt. Ist das verhältnismäßig, Herr Wilde? „Fragen nach der Verhältnismäßigkeit beantworten wir nicht im Einsatz.“ 78 Menschen nahm die Polizei in Gewahrsam, manche wurden bis in die Nacht festgehalten. Am späten Nachmittag wird es ruhig. Auf der Dorfwiese erteilt die Polizei jetzt Platzverweise, zwei Beamte heben einen grauhaarigen Mann in einen Mannschaftswagen, als einen der Letzten. „Wenn Sie jetzt die schmutzigen Füße auf den Sitz packen, können wir Ihnen das berechnen“, unkt einer.

Der Bauer Jörg Piprek hat seinen Hof am anderen Ende Hohensteins. Die Luft flimmert über den Flachbauten der ehemaligen LPG, die Polizei nutzt sie als Zentrale, Einsatzwagen parkt hier an Einsatzwagen. Piprek, ein ruhiger, kräftiger Mann, bittet ins Büro neben dem Geräteschuppen. „Mit solchen Aktionen schaden die doch ihrem eigenen Anliegen, durch Gewalt löst man keinen Konflikt“, sagt er. „Die“, das sind für ihn „Chaoten“, die sein Eigentum bedrohen. Am Samstag hat er sich mit aufs Podium gesetzt, um vor 250 Leuten mit den Gentech-Kritikern zu diskutieren. Er sei ausgelacht worden und auf dem Heimweg in der Dunkelheit sei ihm mulmig geworden. „Da war ich schon froh, dass ein paar Nachbarn und meine Söhne dabei waren.“ Pipreks Handy klingelt, die polizeilichen Feldbeobachter sind dran. Ein Demonstrant ist im Mais. 20 Quadratmeter seien zertreten worden, so das Behördenfazit. Veranstalter Grolm berichtet von mehreren Durchgekommenen, die auf 600 Quadratmetern Stauden herausrissen.

Draußen sitzen drei Dutzend in Gewahrsam genommene Naturschützer auf den alten Betonplatten des Hofes – die Gefangenensammelstelle. Es ist 18 Uhr, viele hocken seit einer Stunde in der prallen Sonne. „Das Schlimmste war, dass nie jemand wusste, warum was passiert“, sagt Martin, der spontan aus Strausberg zur Demo rausfuhr. Seine Truppe sei bereits auf dem Rückzug vom Feld gewesen, dennoch habe die Polizei sie eingekesselt. Den Vorwurf zu harter Methoden kann man den Beamten hier jedenfalls nicht machen – eine blonde Polizistin schleppt Wasser in Einwegflaschen heran. „Ey, wir sind Ökos!“, protestiert eine Frau. Die Letzten durften gegen Mitternacht gehen.