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: Wichtige Mitteilungen für Agnostiker und alle anderen

Am Anfang des Prenzlauer Bergs hängt eine schwarze Tafel und es gähnt ein schwarzes Loch. Sie könnten sich am Ausgang befinden, je nachdem. Auf der Tafel jedenfalls steht mit weißer Kreide „Tonight“, darunter ein verwischter Schriftzug; in dem verwaisten Schaukasten daneben wäre das monatliche DJ-Programm der „8MM-Bar“ zu lesen, die auf der Schönhauser Allee wie eine Transitstation zwischen Mitte und Prenzlauer Berg liegt. Der metallene Rollladen ist heruntergelassen, durch die Fenster lässt sich noch in die Bar linsen. Die „Acht“, wie die Regulären der Bar ihr zweites Wohnzimmer liebevoll nennen, ist einer der wenigen verbliebenen Tresen im Bezirk mit Live-Musik. In der „Acht“ werden psychedelischer Garagenrock und Postpunk gepflegt. Irgendetwas sträubt sich, „wurden“ zu tippen.

Wie sagt man es eigentlich seinen Gästen und Kunden, die ja sowieso Bescheid wissen, dass ihre Lieblingsorte bis auf Weiteres geschlossen bleiben müssen? An der Tür des benachbarten „Watt“ auf der Metzer Straße, einer Bar und Bühne, die einer undogmatischen Definition von Jazz huldigt, liest sich ein Aushang wie folgt: „Nach aktuellem Beschluss des Berliner Senats.“ Andere Läden schreiben: „In Anbetracht der Situation“ oder „Aufgrund der derzeitigen“; „Aus aktuellem“ oder „gegebenem Anlass“ oder schlicht „Geschlossen bis 19.4.2020.“ Das sind die Prosaiker angesichts des Ernsts der Lage. „Rechnet mit allem“ steht, seit Jahren freilich, im Schaufenster eines Geschäfts zu lesen. Es handelt sich um eine Steuerberatung, doch dem Lachen will der Witz vergehen. Ob Rauchersatz, wie auf der Danziger Straße, noch mit „Das ändert alles“ beworben werden muss, darüber reden wir hinterher. Eins fällt auf: Viele vermeiden das C-Wort. Corona. Auch solche Aushänge, die sich mitteilsamer geben: „Wir möchten Euch und unsere Mitarbeiter schützen“, meldet ein Geschäft für Naturkosmetik in der Straßburger Straße. „Anlieferungen bitte anvisieren“, wünscht ein Nachbarladen.

Fünf rote Bilderrahmen

Auf der Pappelallee hat ein Schönheitssalon fünf rote Bilderrahmen ins Schaufenster gestellt, für jeden Wochentag einen: „Am Montag geschlossen, Dienstag geschlossen“, so geht es bis zum Freitag. Aber das Virus, der unsichtbare Unterbrecher, die stumme Bedrohung, hat auch hier keinen Namen. Weiter in Richtung Kino „Colosseum“. Dass das fast hundertjährige Haus im Zweiten Weltkrieg ein Lazarett, danach eine Wärmehalle war, ist kein Vergleich, aber auch mehr als eine Anmerkung. „Leider dürfen wir unsere Türen gerade nicht für Euch öffnen“, schreibt wenige Hausnummern weiter ein Erotikgeschäft auf violettem Papier. Und setzt hinzu: „Aber online geht noch was.“

Richtig so. Damit von allen diesen Orten und Läden des täglichen und nächtlichen Bedarfs nicht bald in der Vergangenheitsform geredet und gesprochen werden muss, muss etwas passieren. Die „8MM-Bar“ hat auf GoFundMe eine Spendenkampagne gestartet, die „Müller-Bar“ in der Knaackstraße ihre Kasse auf PayPal geöffnet. Und, es klappt. Im Übrigen wurde und wird im Prenzlauer Berg nicht nur getrunken. Die Gethsemanekirche in der Stargarder Straße lässt ihre Gottesdienste digital stattfinden, ist telefonisch erreichbar und bietet Hilfe an. „Egal, ob Gemeindemitglied oder nicht“, verkündet sie in einem Aushang. Dass sich die Kirche weiter für politische Gefangene, so in der Türkei, stark macht, darauf möchte ich als Agnostiker hinweisen. Und last but not least einen Klamottenladen auf der Kastanienallee zitieren, an dem ich bis jetzt jahrelang achtlos vorbeigegangen bin. Der nennt das Virus beim Namen und wünscht „ein höfliches Miteinander“.Robert Mießner