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Archiv-Artikel

Das Murren im Volk

PROTEST Präsident und Exguerillero Mauricio Funes setzt auf umstrittenes Staudammprojekt und verliert Unterstützung seiner Anhänger

El Chaparral

■  Energiefrage: Im Nordosten von El Salvador sollen nach den Plänen von Regierung und des Energieunternehmens CEL am Fluss Rio Torola mehrere Staudämme errichtet werden, um Energie für 85.000 Haushalte zu gewinnen.

■  Kosten: Allein der Staudamm El Chaparral kostet laut einer Studie 92,5 Millionen US-Dollar, wobei die japanische Regierung bereits ihre finanzielle Unterstützung zugesichert hat. Auch deshalb, weil eine japanische Firma an Planung und Bau beteiligt ist.

■  Zerstörung: Für den 8,5 Quadratkilometer großen Stausee El Chaparral würden 18.000 Menschen der Gemeinde Carolina ihre Heimat verlieren. Daneben würde der Lauf des Rio Torola verändert, was für Fauna und Flora fatale Folgen hätte. CEL hat zwar versprochen, die Betroffenen zu entschädigen und alle Umweltauflagen einzuhalten. Doch ähnliche frühere Projekte zeigen, dass diese Versprechen oft nur Schall und Rauch sind. Außerdem sind einige Gegner des Projekts bereits mit Waffengewalt bedroht worden.

AUS SAN SALVADOR CECIBEL ROMERO

Drei Tage lang stehen die Bauern schon im Schatten einiger Bäume vor dem verschlossenen Eisentor. Hinten, am Ende des Parks, können sie die neoklassizistische Säulenfassade des gut hundert Jahre alten Gebäudes erkennen, des Präsidentenpalasts von El Salvador. Dort residiert seit 1. Juni Mauricio Funes, der erste linksgerichtete Präsident El Salvadors. Die Bevölkerung des Landes wählte den ehemaligen Guerillero der Nationalen Befreiungsfront Farabundo Martí (FMLN) am 15. März ins höchste Staatsamt. Die Bauern, die vor dem Palast demonstrieren, wollen mit ihrem Präsidenten reden. Sie haben Pappschilder mitgebracht, auf denen gefordert wird: Der Bau des Staudamms El Chaparral muss eingestellt werden. Das Projekt des 220 Millionen Dollar teuren Wasserkraftwerks hatte die rechte Vorgängerregierung angeschoben. Sollte es tatsächlich gebaut werden, versänke ein halbes Dutzend Dörfer im Osten des zentralamerikanischen Landes in einem Stausee – und mit ihnen die Felder der Bauern.

Die Demonstration vor dem Präsidentenpalast fand Mitte Juli statt. Aber Funes empfing die Bauern nicht. Er schickte nur zwei seiner Angestellten vor das Tor, die sich die Anliegen der Bauern anhören sollten. Tage später trat der Präsident vor die Presse und sagte, der umstrittene Staudamm werde gebaut.

Dort, wo er entstehen soll, war während des Bürgerkriegs (1980 bis 1992) eine der am meisten umkämpften Konfliktzonen. Zahlreiche Landwirte, die vor dem Präsidentenpalast protestierten, hatten damals in der Guerilla gekämpft. Dass sie bei der Vorgängerregierung der Rechtsaußenpartei National-republikanische Allianz (Arena) für ihr Anliegen kein Gehör fanden, war klar. Aber da nun der amtierende Präsident ebenfalls auf den Staudammbau setzt, irritiert die Anwohner. Im November vergangenen Jahres wurde trotz vieler Proteste mit den Bauarbeiten begonnen. 2012 soll das Projekt fertiggestellt werden. „Es schmerzt uns, dass uns Mauricio nicht einmal fünf Minuten zugestanden hat“, sagt einer der Demonstranten. „Als er im Wahlkampf zu uns in die Dörfer kam, sind die Leute vor Morgengrauen aufgestanden und haben Stunden auf ihn gewartet.“

Präsident Funes wird inzwischen von seiner eigentlichen Basis, den Gewerkschaften und sozialen Bewegungen, erstaunlich scharf angegriffen. Die erste Linksregierung des Landes sei alles andere als revolutionär, kritisieren sie. Man könne kaum einen Unterschied zu früher feststellen.

„Riesige Staudämme sind Teil einer energiepolitischen Vision von vorgestern“, sagt etwa Angel Ibarra, der Vorsitzende der Umweltorganisation Ökologische Einheit El Salvadors. Aber der Damm von El Chaparral sei eben „von dem Herrn Salume erfunden worden“. Salume heißt mit Vornamen Nicolás und ist seit fünf Jahren Präsident der staatlichen Wasserkraftwerke CEL. Er ist der einzige Funktionär der Arena-Regierung, den Funes übernommen hat. Und er propagiert seit Jahren den Bau sündhaft teurer Mammutprojekte. Warum durfte er seinen Job in der neuen Regierung weitermachen? Salvadorianer haben dafür nur eine Erklärung: Der Vater von Salume, ein hochpotenter Unternehmer, sah einen Regierungswechsel kommen und hatte den Wahlkampf von Funes mit drei Millionen Dollar unterstützt.

Funes plädiert derweil für den Weiterbau des Staudamms. Sein Argument ist, dass mögliche zusätzliche Kosten anfallen könnten, falls das Projekt gestoppt würde. Der Staat könnte von der beauftragten italienischen Baufirma mit einer Millionenklage überzogen werden. Ibarra hält hingegen die Kosten des Projekts ohnehin für weit übertrieben. Von der Regierung verlangt Ibarra, sie solle nicht auf überkommene Mammutprojekte setzen, sondern Strategien zum Energiesparen entwickeln und in dem tropischen Land auf Energie aus Sonnenkraft und Erdwärme setzen.

Funes war noch keine vier Monate im Amt, da erlebte das Land eine weitere Welle sozialer Proteste. Kleinbauern blockierten die wichtigsten Verbindungsstraßen des Landes und forderten eine bessere Verteilung der staatlichen Landwirtschaftshilfen. Funes vertröstete sie mit dem Versprechen, bei der nächsten Aussaat würden auch sie berücksichtigt. „Die Regierung sollte endlich klar sagen, auf wessen Seite sie steht und für wen sie regiert“, fordert Dagoberto Gutiérrez, ein ehemaliger Comandante der Guerilla, der Ende der 90er-Jahre aus der FMLN ausgetreten ist und die Organisation Revolutionäre Tendenz gegründet hat.

Bislang hat sich das Murren der organisierten Basis noch nicht in den Meinungsumfragen niedergeschlagen. Nach 100 Tagen im Amt bekam Funes von 70 Prozent der Salvadorianer ein positives Zeugnis ausgestellt. Er hat Sozialprogramme angekündigt, von denen freilich noch nichts zu sehen ist: Er will 27.000 neue Wohnungen bauen, Alten, die in extremer Armut leben, eine Mindestrente bezahlen, und vor dem nächsten Schuljahr Uniformen, Bleistifte und Hefte verteilen lassen. Für soziale Bewegungen und Gewerkschaften sind diese Programme allerdings nicht mehr als ein Tropfen auf einen heißen Stein.

Präsident Funes wird inzwischen von der Basis erstaunlich scharf angegriffen

Ricardo Ribera, Historiker an der Zentralamerikanischen Universität von San Salvador, sieht den Druck der linken Basis mit gemischten Gefühlen. Die sozialen Bewegungen könnten schnell in die Rolle geraten, die Gewerkschaften Anfang der 70er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts in Chile unter der noch jungen sozialistischen Regierung von Salvador Allende spielten. Wenn die Linke die Regierung zu sehr unter Druck setze, könne dies die Rechte ausnutzen und das Land destabilisieren. Allende wurde nach knapp drei Jahren gestürzt. Ein ähnliches Szenario müsse unter allen Umständen vermieden werden. „Das einzig Wichtige ist, dass sich die Richtung der Politik ändert“, sagt Ribera. „Aber man darf diesen Richtungswechsel nicht überstürzen.“ Zudem müsse Funes in einem schwierigen Umfeld regieren: „Zum ersten Mal ist die Linke an der Macht, und das erwischt sie mitten in einer internationalen Wirtschaftskrise.“ El Salvadors Wirtschaft wird in diesem Jahr voraussichtlich um 1 Prozent schrumpfen. Dazu kommt eine Krise der Auslandsüberweisungen. Die Summe des Geldes, die Auslandssalvadorianer in die Heimat überwiesen haben, ist in den vergangenen Jahren stetig gestiegen. In diesem Jahr wird sie voraussichtlich um rund 10 Prozent oder 350 Millionen Dollar sinken.

Zur Finanzierung von Sozialprogrammen braucht das Land eine Steuerreform, doch Funes und sein Wirtschaftsteam nehmen dieses Wort nicht gern in den Mund. Statt rentable Firmen und die Reichen des Landes in die Pflicht zu nehmen, denken sie über höhere Steuern auf Alkohol und Neuwagen nach. Ein vor kurzem eingerichteter runder Tisch zu wirtschaftlichen und sozialen Themen soll konkrete Vorschläge erarbeiten. Die Unternehmer sitzen dort mit am Tisch. Ein ähnliches Gremium war schon im Friedensvertrag von 1992 vereinbart worden, hatte aber nie zu irgendwelchen Ergebnissen geführt.

Zweifel an der politischen Ausrichtung ihres Kandidaten hatten Teile der militanten Basis der Exguerilla schon während des Wahlkampfs geäußert. Aber Funes, ein populärer vormaliger Fernsehjournalist, eröffnete die Perspektive, endlich einmal nach vier verlorenen Präsidentschaftswahlen zu gewinnen. Nach einem Wahlsieg, so hofften die Kader damals, könne der Präsident dann in die Parteilinie eingebunden werden. Doch Funes hat sich bislang gesträubt. Er sucht nicht die Nähe von Venezuela, Nicaragua und Kuba, den traditionellen Alliierten der FMLN. Seine Regierung hat zwar diplomatische Beziehungen zu Kuba aufgenommen. Ansonsten aber orientiert sie sich am sozialdemokratischen Kurs von Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva, mit dem Funes persönlich befreundet ist. Nur ist Brasilien eben ein Schwellenland und El Salvador noch weit davon entfernt. Mit den USA will Funes Konflikte vermeiden. „Der antiimperialistische Diskurs, den die FMLN lange gepflegt hat, macht keinen Sinn, wenn ein Drittel unserer Bevölkerung in den USA lebt“, sagt er.

Noch halten sich die alten Guerilla-Comandantes im FMLN-Präsidium mit öffentlicher Kritik an ihrem Präsidenten zurück. Man müsse dem Mann mehr Zeit geben. Die Bauern im Osten des Landes sind da direkter. „Es ist eine Schande, dass eine Partei, die einmal eine Partei des Volkes war, sich nun gegen dieses Volk wendet“, sagt Manuel de Jesús Romero, der die Proteste gegen den Bau des Staudamms El Chaparral mitorganisiert. „Wenn heute wieder Wahlen wären, würden sich viele überlegen, ob sie noch einmal für die FMLN stimmen sollen.“