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Archiv-Artikel

Gute Erfolgschancen für Klagen

SOZIALRECHT Nach ihrer neuerlichen Niederlage klagt die Bagis über das Sozialgericht, Richter und Sozialanwälte aber rügen die „schlechte Qualität“ der Hartz IV-Bescheide

Urteile der Sozialgerichte

Laut Gesetz muss die Bagis die „tatsächlichen Kosten“ der Unterkunft übernehmen, soweit diese „angemessen“ sind.

■ Bei drohender Sperrung der Energiezufuhr muss die Bagis Schulden auch bei kinderlosen Haushalten als Darlehen gewähren.

■ Mietkautionen für ALG II-EmpfängerInnen müssen auch dann übernommen werden, wenn diese bei kommunalen Wohnungsbaugesellschaften einziehen.

■ Leben Hilfsbedürftige zusammen, besteht Anspruch auf die ganze Miete, auch wenn einzelne sanktioniert werden. (taz)

Von Jan Zier

Wieder einmal hat die Bremer Arbeitsgemeinschaft für Integration und Soziales (Bagis) vor dem Sozialgericht verloren, und wieder einmal geht es dabei um Energiekosten. In einer jetzt veröffentlichten Entscheidung haben die RichterInnen die Bagis verpflichtet, aufgelaufene Rückstände beim Energieversorger SWB darlehensweise zu übernehmen. Jetzt melden sich Sozialrechtler mit starker Kritik an der Arbeit der Bagis zu Wort.

Im konkreten Fall ging es um eine Auszubildende, die von der Agentur für Arbeit gefördert wird. Sie bekommt Leistungen aus dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (Bafög), die aber ihre tatsächlichen Mietkosten nicht abdecken. Die Bagis rechnete ihr nun auch das Kindergeld als Einkommen an, so dass es aus ihrer Sicht gar keine ungedeckten Mietkosten gab – und also auch keinen Anspruch auf einen Zuschuss oder ein Darlehen.

Das war rechtswidrig, stellten nun die Bremer Sozialrichter fest. Das Kindergeld dürfe nicht zur Deckung der Unterkunftskosten herangezogen werden, so der Tenor. Die Auszubildende hat demnach nicht nur Anspruch auf ein Darlehen zur Tilgung der aufgelaufenen Schulden bei der SWB, sondern bekommt auch monatlich 115 Euro zusätzlich von der Bagis.

Gerade wenn es um die „angemessenen“ Kosten der Unterkunft ging, insbesondere bei Hartz IV-EmpfängerInnen, musste die Bagis in jüngerer Vergangenheit immer wieder Niederlagen vor den Sozialgerichten hinnehmen (siehe Kasten). Bagis-Chef Thomas Schneider findet gleichwohl, dass seine Behörde im Vergleich zu anderen „noch recht gut“ dastehe. Er sieht seine Behörde nicht zuletzt als Leidtragenden veränderter juristischer Zuständigkeiten: In Bremen ist das Sozialgericht für Hartz IV-Verfahren erst seit diesem Jahr zuständig – vorher übernahm diese Aufgabe das Verwaltungsgericht. „Vieles, was bisher Bestand hatte, legen die Gerichte jetzt völlig anders aus“, so Schneider, gerade, wenn es um Energiekosten oder Miet-Deponate gehe.

Ein Argument, was man im Sozialgericht nicht gelten lassen will. Der Vorwurf von Schneider „entbehrt jeder Grundlage“, sagt Gerichtssprecher André Schlüter. Auch Rechtsanwalt Detlef Driever von der Arbeitsgemeinschaft Sozialrecht im Bremischen Anwaltsverein hält das für „Unsinn“. Ein Drittel der zwölf Sozialrichter in Bremen war zuvor auch schon am Verwaltungsgericht in gleicher Sache tätig, auch die gesetzlichen Vorgaben seien weitgehend identisch, sagt Driever. Er fordert die bremischen Behörden auf, sich stärker gegen die „zentralistischen Vorgaben“ der Bundesagentur für Arbeit zur Wehr zu setzen.

Driever attestiert Klägern gerade dort, wo es um Grundsicherung für Arbeitsuchende geht, eine „überdurchschnittliche Erfolgsquote“. Und sieht das auch als Ausweis der „schlechten Qualität“ der Bagis. Auch Schlüter spricht davon, dass die sich häufenden Niederlagen der Bagis vor Gericht „sicherlich“ auch Ausdruck einer mangelhafter Arbeit dort seien. Allerdings hätten Hartz IV-Verfahren bundesweit „sehr hohe Erfolgsaussichten“, so Schlüter – zu komplex die Rechtsmaterie, zu kompliziert die Bescheide, zu fehlerbehaftet die EDV. Hinzu kommt, dass die Bagis unter hoher Personalfluktuation leidet und in ihrer jetzigen Form gar keine Zukunft hat: Die bisherigen Mischverwaltung ist verfassungswidrig, bis spätestens 2011 müssen neue Strukturen her.

Schlüter sieht nicht zuletzt den Bund in der Pflicht – weil er immer noch keine klärende Rechtsverordnung zu den Unterkunftskosten erlassen hat. „Die könnte große Wirkung entfalten“, sagt Schlüter – und damit auch das Sozialgericht entlasten. Allein in diesem Jahr zählt es schon rund 1.880 neue Hartz IV-Verfahren, die wiederum fast zwei Drittel des Klageaufkommens am Sozialgericht ausmachen. Bis Jahresende werden es wohl gut 2.450 Verfahren sein, rund 500 mehr als noch 2008 beim Verwaltungsgericht.