HAUSTIERE (I)
: Hier kommt die Maus

Ich wusste, sie dachte – ich oder er

Kammerjäger Schitlowski sagt, ich soll Kinder und Katzen nur noch unter Aufsicht in meine Küche lassen. Ich habe weder Kinder noch Katzen, aber seit zwei Wochen Mäuse und seit heute Kartonschachteln hinter Heizung und Ofen, gefüllt mit Lockfuttergranulat. Schitlowski sagt, es sei vergiftet.

In meiner Hochhauskindheit hatte ich weder Haustiere noch Lieblingsgeschwister. Ich war mit dem Gedanken, meinen Wohnraum mit einem anderen Wesen zu teilen, wenig vertraut. Als ich zum ersten Mal das Rascheln hinterm Holzverschlag der Küche hörte, schob ich es auf den Tinnitus. Doch dann stürzte sich vor zwei Tagen die Maus todesmutig vom Gasboiler in die Tiefe, landete nach zwei unfreiwilligen Salti wider Erwarten auf alle Vieren auf dem Plastik-Fliesen-Imitat und starrte mich an. In diesem Moment wusste ich, sie dachte, ich oder er.

Zuerst ließ ich sie gewähren. Knabber nur an den Essenresten in der Komposttonne, das macht mir gar nichts. Doch als sich der Nager durch die Rückwand meines Multifunktionsküchenschranks biss und von den sauteuren Tintenfischspaghetti nur feine Späne übrig ließ, griff ich zum Hörer.

Schitlowski robbte im Blaumann, den Zigarettenstummel im Mundwinkel, in alle Ecken. Er war sich todsicher, dass mein Problem mit seinem ausgelegten Köder eine schnelle Lösung finden würde. In zwei Wochen, versprach er, kontrolliere er nach. Es herrschte trügerische Ruhe. Tagelang flitzte keine Maus über das Plastik-Fliesen-Imitat. Schitlowksi sammelte die Köder wieder ein.

Gestern hörte ich plötzlich Bremsgeräusche: Ein kleines graues Ding verschwand zielsicher in meinen Vorratsschrank. Ich gab mich geschlagen. Die Maus hatte nicht nur meine Wahrnehmungsschwelle unterlaufen, sondern auch nicht vom verbotenen Tellerchen genascht. Chapeau! TIMO BERGER