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Archiv-Artikel

TANIA MARTINI LEUCHTEN DER MENSCHHEIT Sie nennen es „Jesus in Action“

Vom Sendungsbewusstsein deutscher Popliteraten: Naters und Lager gehen von Berlin-Mitte nach Südafrika und entdecken die Taufe als heilende Kraft

Elke Naters und Sven Lager, zwei erfolgreiche Vertreter jener Literaturgattung, die man in Deutschland in den 90er Jahren Popliteratur nannte, sind gläubig geworden. Das sind nun keine Top-News, zumal die beiden ein wenig in Vergessenheit geraten sind und Glaube doch Privatsache ist. Privatsache, ja, das sollte er sein, ist er aber nicht. Warum sonst veröffentlichten die beiden im August in der Zeit, dem Aufklärungsdampfer für liberale Oberstudienräte, ein ellenlanges Glaubensbekenntnis?

Naters und Lager, die früher über Liebe unter Mittelstandswessis in Berlin-Mitte schrieben, sind nach Südafrika ausgewandert und berichten jetzt von Wunder- und anderen Heilungen: von ehemaligen Sklaven etwa, die von deutschen Missionaren vor 200 Jahren in Südafrika in lesende und musizierende Subjekte verwandelt wurden, von Missionaren, die ähnlich wie Jesus, der sich „gern mit Außenseitern“ abgab, „wahr gewordene Utopien“ errichtet haben, die man noch heute besichtigen kann.

„Neulich beteten wir für einen sterbenskranken Bauarbeiter, der kurz darauf aus dem Krankenbett aufstand, auf den Flur hinauslief und rief: „Ich bin geheilt!“

Lebensgeschichten, die ein paar Nummern größer sind als die in Berlin-Mitte, so die Autoren, wo das Leben doch bloß ohne „besonderen Schmerz“ und deshalb „ohne besondere Tiefe“ ablaufe. Naters und Lager spüren sich jetzt viel besser, sie treffen nämlich ehemalige Kongo-Söldner und Leute wie James, „den Gott schwer krank im Krankenhausbett aufsuchte, obwohl James nichts von ihm wissen wollte, und ihn auf einen Schlag heilte“.

Oder Patrick, dem es über Nacht besser ging, weil er sich hatte taufen lassen. Ja tatsächlich, im Urbankrankenhaus in Berlin-Kreuzberg finden solche Spontanheilungen nicht statt. Zumindest habe ich noch nie davon gehört. Sollte Gott uns hier etwa vergessen haben?

Ach was, alles zu viel Punk, Kommunismus und Feminismus hier, denn der Glaube, so die „Popliteraten“, ist viel radikaler als all das und radikaler als jede Revolution. Klar, wer will gegenüber so viel „Jesus in Action“ noch von Freiheit und Gleichheit sprechen? Ein Leben ohne Zweifel, ohne Skepsis, ohne Wut, ja, vielleicht fühlt sich das wie Glück an. „Aggressive positive Lebenseinstellung“ nennen Naters und Lager das. Und seltsamerweise wirkt auch ihr actiongeplagter Jesus im Heilungsstress aggressiv.

Nun kann man über all das einfach lachen oder es als Symptom lesen. Der französische Schriftsteller Georges Bataille antwortete auf die Frage, was das größte Hindernis bei dem Streben nach Souveränität sei: „Zweifellos die Notwendigkeit, die Existenz anderer zu akzeptieren und gänzlich zu respektieren.“ Das ist für praktizierende Christen oder Muslime kaum möglich, da sie Bekennende missionarischer Religionen sind und die Begegnung mit dem Anderen als Zugriffsverhältnis denken.

Souveränität bei Bataille unterscheidet sich von Herrschaft, von identifizierendem Denken. Es ist unseren politischen und theologischen Systemen geschuldet, dass wir diese Form von Souveränität kaum noch denken können. Keiner lehrt sie so gut wie Bataille. Davon zeugen auch seine Interviews, die nun endlich auf Deutsch publiziert sind in dem Band „Die Aufgaben des Geistes“ (Matthes & Seitz, 2012). Das bedeutet im Umkehrschluss, dass er auch als Atheist sich nicht verpflichtet fühlt abzuschaffen, „was dennoch ein Reichtum ist: diese ekstatischen oder religiösen Empfindungen, die nicht völlig vom Wahnsinn verschieden sind, die jedenfalls nicht völlig von dem verschieden sind, was die Liebe ist.“ Und so sei es ein Gefühl von Komik, das ihn beim Nachdenken über Gott überrasche.

Damit lässt sich freilich keine „Kultur des Glaubensaustauschs“ à la Naters und Lager anregen. Dazu bedarf es schon ihrer „aggressiven positiven Lebenseinstellung“.

Die Autorin ist taz-Redakteurin für das Politische Buch Foto: privat