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Archiv-Artikel

Chaostage feiern Rosenhochzeit

Das zehnjährige Jubiläum des Punk-Treffens, das Hannover im August 1995 für einige Tage in den Ausnahmezustand versetzte, fällt wahrscheinlich mangels Teilnahme aus. Die Polizei ist erleichtert und erinnert sich mit Schaudern

Punks werfen mit Pflastersteinen, errichten brennende Barrikaden, plündern einen Supermarkt – und die Polizei sieht zu. „Das war fast wie im Bürgerkrieg“, erinnert sich Hannovers Polizeipräsident Hans-Dieter Klosa an die Chaostage, die heute vor zehn Jahren die niedersächsische Landeshauptstadt in den Ausnahmezustand versetzten.

Mehr als 400 Verletzte und über 700 Ingewahrsamnahmen, von denen zwei Drittel später vom Amtsgericht Hannover als rechtswidrig eingestuft wurden. „Der Polizeieinsatz war ein Desaster“, sagt Klosa, der seinerzeit Chef der Landesbereitschaftspolizei war. Ein Polizeisprecher hatte damals bestätigt, dass einige Polizisten Flaschen und Steine auf die Punks zurückgeworfen hatten. Begründet wurde die offensichtliche Überforderung der Einsatzkräfte mit dem unerwartet aggressiven Verhalten der Punks. Für Polizeipräsident Klosa liegt der entscheidende Fehler der Polizei jedoch darin, dass sie auf „eindeutige Anzeichen“ nicht rechtzeitig reagiert habe.

Man hätte es kommen sehen können. Chaostage finden erstmals 1982 statt, als Punks sich gegen eine von der Polizei eingerichtete „Punker-Datei“ zur Wehr setzen wollen. Von da an gibt es jährlich Punk-Parties im öffentlichen Raum, bei denen es immer wieder auch zu Ausschreitungen kommt. Anfang 1995 mehren sich im Internet und auf Flugblättern Aufrufe zur Teilnahme mit Parolen wie „Tötet alle Bullen“ oder „Wir legen die Stadt in Schutt und Asche“. In den ersten Augusttagen kommen schließlich rund 1.500 Punks und Autonome aus dem ganzen Bundesgebiet und dem Ausland nach Hannover und liefern sich Straßenschlachten mit der Polizei.

Als Konsequenz der Ereignisse tritt der damalige Polizeipräsident Herbert Sander zurück, Klosa wird sein Nachfolger. Auch Ministerpräsident Gerhard Schröder und sein Innenminister Gerhard Glogowski (beide SPD) geraten unter Druck. Auf Antrag der CDU-Fraktion wird ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss eingesetzt.

Ein Jahr später ist die Polizei am ersten Augustwochenende besser gewappnet. In der gesamten Stadt wird ein Versammlungsverbot erlassen, 6.000 Beamte verwandeln Hannover in eine Festung. Krawalle bleiben aus, auch in Bremen, das als Alternativ-Ort ausgewählt wurde. In den folgenden Jahren verlieren die Chaostage zunehmend an Bedeutung. Für dieses Jahr gibt es laut Polizeipräsident Klosa zwar vereinzelte Aufrufe zu „Jubiläums-Chaostagen“ – „aber wir haben keine Erkenntnisse, dass es tatsächlich dazu kommt“.

Petra Albers