Air de Paris
Annabelle Hirsch
: Wenn der Pariser geht und Hase und Igel kommen

Foto: Regentaucher

Seit einiger Zeit, seit einigen Wochen, vielleicht auch schon Monaten, höre ich immer öfter den Satz: „Wenn ich könnte, würde ich Paris sofort verlassen.“ Ich höre ihn von Franzosen, solchen, die aus der Provinz gekommen sind, um in der Hauptstadt ihr Glück zu versuchen, aber auch von Parisern, Menschen, die man bis vor Kurzem nur mit großer Mühe und wenn, dann auch nur für kurze Zeit aus ihrer Heimatstadt, der „plus belle ville du monde“, herausbewegen konnte. Ich höre ihn von Argentiniern, Deutschen, Algeriern, Amerikanern, die ganz bewusst hergekommen waren, weil sie sich die Stadt und das Leben hier als ein aufregendes, glamouröses, schönes erträumten und es lange auch so empfanden. Doch jetzt plötzlich scheint es anders.

Die Stadt sei zu eng, zu laut, zu dreckig, zu aggressiv, zu wenig grün, zu alt, zu uncool, zu langweilig, sagen die einen. Alles, was nett war, die kleinen Buchhandlungen, die kleinen Geschäfte, in denen skurrile alte Menschen skurrile alte Dinge verkauften, machen zu, um den dreihundertsten „Maje“- oder „Sandro“-Shop zu eröffnen, sagen die anderen. Und dann ist da natürlich noch die Sache mit dem Wohnraum, auf die sich alle einigen: In Frankreich mietet man nicht gerne, man kauft. Nur sind die Preise im Zentrum der Hauptstadt dank Airbnb und Immobilienspekulation mittlerweile so geisteskrank hoch, dass ein normal bis gut verdienender Mensch spätestens beim zweiten (eigentlich schon beim ersten) Kind aus der Stadt verschwinden oder sich mit seiner Familie in einer winzigen Wohnung stapeln muss.

Die Chancen, dass Paris demnächst nur noch Erben und Spitzenverdiener, statt Künstler und Intellektuelle behaust, stehen gut, was verständlicherweise vielen missfällt. Eine Freundin, die ich bisher für die Pariserin schlechthin hielt, die über das Pariserinsein sogar vor ein paar Jahren ein sehr erfolgreiches Buch geschrieben hat, meinte vor ein paar Tagen: Paris ist furchtbar, wäre mein Kind nicht hier, würde ich noch heute Abend meine Koffer packen und gehen. Verzieht euch, solange ihr könnt.

Gut, die Franzosen meckern bekanntlich gerne. Sie neigen zur Überdramatisierung, beschweren sich leidenschaftlich über Zustände und noch leidenschaftlicher, wenn man ihnen mit Veränderungsvorschlägen kommt. Trotzdem scheinen die Kandidaten für die bald stattfindende Bürgermeisterwahl das grassierende Unwohlsein der Pariser ernst zu nehmen und überlegen sich deshalb schon seit Jahresbeginn die wildesten, mit jeder Woche wilder werdenden Ansätze, um die Stadt zu einem „better place“ zu machen. Für die meisten von ihnen bedeutet das erst einmal: Paris einen ruraleren Touch zu verleihen. An sich toll, nur an der Realisierung hapert es noch ein bisschen.

Anne Hidalgo zum Beispiel, die amtierende Bürgermeisterin, über die man mit keinem Taxifahrer sprechen sollte, wenn man keine endlosen Hasstiraden hören will, schlug zu Beginn des Jahres vor, man könne doch die Place de la Concorde und l’Étoile, also den Platz um den Arc de Triomphe, autofrei machen und in eine riesige Flaniermeile verwandeln. In der vergangenen Woche plädierte sie, wie fast alle Kandidaten, für ein massives Bäume-Pflanzen und befand, was Paris wirklich fehle seien mehr Igel und Frösche. Überhaupt: Tiere, nur eben andere als die Ratten, die Nachts durch Squares und Gassen schlendern.

Es gab noch andere, von der Lebensrealität der Stadt und ihrer Bewohner recht entfremdete Ideen, der bisher beste, im Sinne von absurdeste Vorschlag kam allerdings vom offiziellen En-Marche-Kandidaten Benjamin Griveaux. Der tut sich offenbar immer schwerer und holt deshalb wohl immer weiter aus: Wie wäre es, dachte er vor Kurzem laut, wenn man die Gare de l’Est, einen der größten Bahnhöfe Frankreichs, einen der wichtigsten der Stadt, aus dem Zentrum herausreißt, ihn in die Banlieue verpflanzt und auf der leeren Fläche einen schönen „Central Parc Paris“ baut? Die erste Wahlrunde findet am 15. März statt. Wer geht, wer bleibt und vor allem, wie das Paris der Zukunft aussehen soll, wird sich zeigen.

Die Autorin ist freie Journalistin und lebt in Paris.