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Archiv-Artikel

Ein bisschen Blockade

Aktion vom Versammlungsgesetz gedeckt: Im Bauwagen-Prozess rückt die Anklageseite vom Kernvorwurf ab. Verteidigung plädiert auf Freispruch

„Versammelt sich eine Versammlung, sind Beeinträchtigungen immanent“

VON KAI VON APPEN

Der Musterprozess um die Bauwagen-Aktion „Einmal im Leben pünktlich sein“ geht zu Ende: Am Dienstag wird Amtsrichter Lutz Nothmann sein Urteil verkünden, nachdem jetzt die Verteidiger Carsten Gericke, Marc Meyer und Andreas Beuth sowie in der Vorwoche Staatsanwältin Sylvia Kühne in turbulenter Verhandlung plädierten. Anwalt Beuth bemühte sich dabei nochmals, die Absurdität der Anklage plastisch darzustellen: Niemand würde es Blockade nennen, wenn sich etwa „Radfahrer mit ihren Rädern spontan zu einer Demo für bessere Radwege treffen und eine Stunde von der Polizei durch die Stadt geleitet werden“.

Auch die Staatsanwältin rückte im Plädoyer vom Kern der Anklage, der „Blockade“, ab. So sah sie in der unangemeldeten Aktion von 99 Wohn-Lkw am Morgen des 24. April 2004 in der Hafenstraße nun doch eine vom Grundgesetz geschützte Demo. Und die in der Anklage genannten „erheblichen Verkehrsbehinderungen“ – mit denen die Vorwurf der Nötigung begründet wird – habe es auch nicht gegeben. Trotzdem wollte oder durfte sie nicht auf Freispruch plädieren. Immerhin hatten einige Laster „fast verkeilt“ quer gestanden, und so sah Kühne doch geringe Blockademerkmale verwirklicht und forderte 30 Tagessätze.

Die Anwälte geißelten das Verfahren als „Lex Bauwagen“ und gaben Nachhilfeunterricht in Versammlungsrecht: „Es ist Teil des Selbstbestimmungsrechts, Ort und Dauer selbst zu bestimmen“, dozierte Marc Meyer. „Wenn sich eine Versammlung versammelt, dann sind Beeinträchtigungen immanent.“ Nach dem Versammlungsrecht seien „sozialadäquate Beinträchtigungen“ aber ausdrücklich hinzunehmen – vor allem für den Straßenverkehr. „Das ist bei jeder Demo der Fall“, so Meyer. Und im vorliegenden Fall hätten Autofahrer „nur einen Umweg von fünf Minuten in Kauf nehmen“ müssen.

Dass es sich um eine geschützte Demo gehandelt habe, leitete Beuth schon aus der Tatsache ab, dass die Polizei selbst sie von Anfang an als solche angesehen habe. „Auch die Forderung nach einem Versammlungsleiter wurde erfüllt.“ Das Versammlungsrecht sichere auch die „Typenfreiheit“ zu, belehrte zudem Carsten Gericke. So würden Landwirte stets mit Treckern demonstrieren, und in Berlin hätten Roma und Cinti sogar ein Zeltlager errichtet, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen.

„Die Fahrzeuge waren eine entscheidende Ausdrucksform dieser Demonstration“, sagte Gericke. „Wenn Fahrzeuge quer gestanden haben“, habe dies nichts mit „Fast-Verkeilung“ zu tun, sondern sei das Produkt eines „chaotischen Durcheinanders“. Wer einmal in einer Bauwagensiedlung gewesen sei, so Gericke, „weiß, dass es da nicht aussieht wie auf einem Campingplatz“.

Für die Anwälte war die Auflösung der Demo rechtswidrig. „Auch wenn die Veranstaltung nicht angemeldet war, ist dies laut Bundesverfassungsgericht kein Auflösungsgrund“, bekräftigte Beuth. „Es waren alle Auflagen erfüllt“, jedoch seien die Gründe von Polizei-Einsatzleiter Thomas Mülder „uns im Verfahren verborgen“ geblieben – die Vernehmung Mülders hatte der Richter abgelehnt. Mülder aber hatte die Sicherstellung der Wagen angeordnet und sie zum Abtransport demolieren, aufbrechen und kurzschließen lassen.