: Kunst & Kartoffel
Was Mal- und Kochkunst gemeinsam haben. Ein artifizieller Wahrheit-Bericht
Von den Stillleben der alten Meister bis hin zur Eat Art – zwischen Mal- und Kochkunst bestehen mannigfache Verbindungen. Viele Maler sind begnadete Köche – und wenn sie schon nicht Stunde um Stunde löffelschwingend am Herde stehen, so sind die meisten der bildenden Künstler einem leckeren Happen zwischendurch zumindest nicht abgeneigt. Da stellt sich die Frage, welch inniges Band zwischen beiden Sphären wohl besteht, fast von selbst. Ist es das Rühren an sich, egal ob in Farb- oder Kochtöpfen, das kreative Stochern und Mischen, das eine Art genetisches Verbindungsglied beider Künste darstellt?
Um dem Geheimnis des schöpferischen Prozesses auf die Spur zu kommen, kann es also hilfreich sein, den Ursprung der malerischen Inspiration einmal genauer unter die Lupe zu nehmen. Autobiografische Zeugnisse vieler Künstler belegen, dass die Aussicht auf einen schmackhaften Bissen nicht selten Quell ihrer Inspiration gewesen ist. Einige der bewegendsten Begegnungen von Kunst und Nahrungsmittel mögen dies im Folgenden belegen: Albrecht Dürer, der altfränkische Grafikdesigner, war für seine ausufernden Sauf- und Fressgelage bekannt. Legendär die scherzhafte Bemerkung seines Förderers Hans Trunck, der nach einem besonders ausgiebigen Bankett zum damals schon wohlbeleibten Künstler folgende Worte sprach: „Mein alter Freund und Kupferstecher, so wirst du auch nicht dür(r)er!“
Viele von Dürers Fress-, Sauf- und Tafelbildern, die die spätmittelalterliche Lust am irdischen Wohlergehen zum Thema hatten, sind heute verschollen. Experten vermuten, dass sein Konkurrent, der Ansbacher Holzschneider Justus Eblein, die beliebten Werke über Mittelsmänner aufkaufen ließ und sie eigenhändig zerstörte. Das einzige aus dieser Serie erhalten gebliebene Werk ist der heute so bekannt „Hase“. Als leidenschaftlicher Jäger war Dürer ein großer Liebhaber eines gespickten Hasenrückens mit Blaukraut und Klößen.
Faszinierende Einblicke in die Werkstatt des Jahrhundertgenies Picasso bietet sein Bericht vom Besuch des Pariser Feinkostladens „Bergeuil“ in der Rue de Rivoli. Der Anblick der geräucherten Lachsseiten in den Vitrinen des Feinschmeckertempels ist für den jungen Spanier so beeindruckend, dass er sein Kunstwollen ab diesem Zeitpunkt radikal neu ausrichtet und seine Werke allesamt im zarten Rosa des Edelfischs auf die Leinwand zaubert. In den zahllosen Zeichnungen und Gemälden dieser Zeit umkreist Picasso mit Vorliebe Lachs- und Forellendarstellungen. Werke wie „Lachs vor dem Spiegel“, „Salmonides d’Avignon“ oder „Sitzender Lachs, sich die Flossen trocknend“ verweisen darauf, dass Picasso nun – wie Cézanne in seinen Pfirsichstillleben – seine Lieblingsspeise zum Hauptmotiv seiner Kunst macht. Erst eine Fischvergiftung nach einem Gelage mit Künstlerkollegen im Januar 1906 bereitet der „Rosa Periode“ ein jähes Ende.
Der Norweger Edvard Munch gilt gemeinhin als Maler des zerrissenen, an sich und der Welt leidenden Menschen, der vergebens versucht, sich von den albdruckartigen Lasten des entfremdeten Daseins zu befreien. Ein größeres Missverständnis der bekenntnishaften Ausdruckskunst des Norwegers ist allerdings kaum vorstellbar.
In einem jüngst aufgefundenen Brief Munchs an seine deutsche Geliebte Lotte Menzel spricht er über sein wohl berühmtestes Bild „Der Schrei“. Dieses 1893 entstandene Werk galt bislang als paradigmatisch-diagnostische Darstellung der explosiv aufbrechenden Urängste des Menschen, als expressiv-sezierende Analyse des Todes, als bedrückende, lebensverschattende Macht. Eine folgenschwere Fehldeutung – spricht Munch in seinem Brief doch von einem Herbstspaziergang im Münsterland und einem der damals üblicherweise nach der Ernte abgehaltenen Kartoffelfeuer, bei dem sich sein Begleiter in allzu großer Gier eine glühend heiße Kartoffel in den Mund gesteckt und sofort wieder ausgespien habe. Die lauten Schmerzensschreie und der verzerrte Gesichtsausdruck inspirierten den damals 30-jährigen Munch zu seinem berühmten Werk, dem er ursprünglich den Titel „Die heiße Kartoffel“ gegeben und den er erst auf Intervention seines Kunsthändlers in den metaphysischeren „Schrei“ umgewandelt hatte.
Wir schreiben das Jahr 1956, Salvador Dalí ist auf dem Höhepunkt seines Ruhms. Der exzentrische Katalane liegt auf der Terrasse seine Anwesens und döst. Nach einem reichhaltigen Imbiss und ein paar Gläsern schweren spanischen Rotweins muss auch für einen Maler, der die Welt mit seinen surrealistischen Visionen schockt, ein Mittagsschläfchen drin sein, bevor ihn wieder die Pflicht an die Staffelei ruft. Die gnadenlose Sonne Spaniens brennt auf die Reste seiner Mahlzeit herab, während der Maestro sein Nickerchen hält. Zwei Stunden später erwacht der Malerfürst und traut seinen Augen nicht: der Camembert d’Isigny aus der Normandie hat sich in der Mittagsglut selbstständig gemacht und hängt, halb geschmolzen, über die Tischkante herunter. Dalí hastet zur Staffelei und wirft in einem wahren Schaffensrausch den laufenden Käse auf die Leinwand. Selbstverständlich in surrealistisch verfremdeter Manier – als Uhr. „Weiche Konstruktion mit gekochten Bohnen“ – ein Bild, das ihn weltberühmt machen sollte. „Da steckt einfach mehr Symbolik drin, die Leute brauchen ein Rätsel, über das sie sich den Kopf zerbrechen können“, so der lakonische Kommentar des Vermarktungsgenies Dalí, der sich im Klaren war, dass ihm einen solchen Käse niemand abkaufen würde. RÜDIGER KIND