: Trap schlapp, Klopp topp?
11 Gründe, warum die Fußball-Bundesliga diesmal ganz besonders spannend wird
VON PETER UNFRIED
Die heute beginnende 43. Saison der Fußball-Bundesliga werde „überschattet“ von der Fußball-WM im kommenden Jahr am Standort, dem mindestens größten populärkulturellen Ereignis des Jahrtausends, bei dem die allerbesten Profis der Welt die allerwichtigsten Spiele spielen werden. So heißt es allüberall. Und das stimmt auch.
Weiter heißt es, die Liga sei ein „Theater der Illusionen“ (SZ), aber im Gesamtpaket mit WM und neuen Stadien prächtig funktionierend, wie der neuerliche Dauerkartenrekord zeige. Es gebe aber keine „echten“ Stars, nur ein paar neue Halbstars (den Dänen Tomasson, den Niederländer van der Vaart). Selbst Portugal habe „uns“ inzwischen überholt, wie die Uefa-Rangliste belege. Von Spanien, Italien, England, Frankreich gar nicht mehr zu reden.
Das stimmt auch.
Und Meister werde sowieso wieder der FC Bayern.
Eh klar.
Und dennoch kann die Saison ganz schön und spannend werden. Folgendes möchte man doch wissen:
1. Kriegt der FC Schalke 04 die Entwicklung zum nationalen Spitzenklub in den Griff? Sportlich – und vor allem auch ökonomisch?
Das spannendste sportliche Unternehmen ist sicher Trainer Ralf Rangnicks zweite Saison. Weil es die erste ist, vor der er im Rahmen des in Schalke Möglichen (nicht wenig, aber weniger, als manche Populisten behaupten) in die Personalplanung eingreifen konnte.
Das Problem: Er ist schon mit dem von Vorgänger Jupp Heynckes verantworteten Kader Vizemeister geworden. Damit lässt sicher der weitere Fortschritt national nur schwer tabellarisch nachweisen.
Rangnick, 45, ein Schwabe aus Backnang, ist der erste der neuen Selfmade-Systemtrainer, der von außen kam und in Deutschland ganz oben im Establishment angekommen ist. Getrieben von der Idee, sein Team möglichst bis ins Detail zu steuern. Nicht mehr bis zur Kontrolle des privaten Cola-Konsums. Das war früher. Aber auf dem Platz schon sehr. „Wie der Herr, so’s Gscherr“, sagt er. Den Spielertyp, über den er – bei Apfelschorle – stundenlang reden kann, nennt er „der Sechser“. Der Sechser ist der Spieleröffner vor der Abwehr und der wichtigste Mann im modernen Fußball. Der „Zehner“, früher der Spielmacher, ist ja zu einer Art zweiter Spitze degradiert. Ein richtiger Sechser, sagt Rangnick, denkt: „Hurra, die anderen haben den Ball. Den hole ich mir.“ Der Zehner dagegen denkt: „Die anderen haben den Ball. Mist aber auch. Hoffentlich haben wir ihn bald wieder.“ Da kann der Zehner (in Schalke der Brasilianer Lincoln, wenn er nicht grade gesperrt ist) noch so bemüht „nach hinten arbeiten“, das ist einfach nicht authentisch.
Rangnick hat als Erstes und sehr früh zwei neue Sechser verpflichtet (Ernst, Bajramovic), beide spielen Schlüsselrollen. Am liebsten würde er noch viel mehr Sechser spielen lassen. Vermutlich neigt er nicht zum Träumen, aber wenn er träumte, dann sicher von einem Zehner, der ein Sechser ist. Das allerdings kann man von Lincoln nicht behaupten.
Den anderen Brasilianer (Ailton) hat Rangnick durch Kevin Kuranyi ersetzt, was ihn dreifach voranbringt. Erstens hat Kuranyi ein forsches Bärtchen, ist aber in Wahrheit brav, strebsam und im Gegensatz zu Ailton steuerbar. Zweitens arbeitet Kuranyi nach hinten. Drittens kann er mit dem Keilstürmer Kuranyi künftig nicht nur 4-3-3 und 4-4-2, sondern auch mit einer Spitze, also 4-5-1 spielen. In der Champions League wird viel mit zentraler Keilspitze gespielt. So hat Chelsea im Frühjahr die Bayern erledigt. Also, Augen weg von Rudi Assauer und Simone Thomalla. Dafür immer schön mitzählen: Wie viel Stürmer bringt Rangnick – und wie viel Sechser?
2. Ist Klopp am Ende?
Sagen wir so: Sehr viel besser kann es für Jürgen Klopp, 38, praktisch nicht mehr kommen. Jedenfalls nicht in Mainz. Er ist der offiziell gewählte Vizetrainer des Jahres und seit seinem Einsatz für das ZDF beim Confederations Cup gilt er auch als bester TV-Fußball-Analytiker seit Erfindung des Mediums. In der Zeit witzeln sie zielsicher, aber liebenswert über den „sympathischen, jungen Trainer“, im kicker konstatiert man bierernst, er sei „sowieso sympathisch“.
Selbst der Ghostwriter von Bild-Mumie Max Merkel hat ihm beim jährlichen TÜV fünf Bälle verliehen, das heißt so was wie Weltklasse. Also: Klopp ist angekommen und zwar schichten-, klassen- und ideologienübergreifend. Mal abgesehen von den drei Leuten, die ihn blöd finden (kennt zufällig jemand die Namen?), finden ihn einfach alle gut. Das ist selbstverständlich brandgefährlich.
Für viele Auguren ist praktisch auch schon abgehakt, dass der Bundesligaelfte Mainz 05 auch die zweite Saison überstehen wird. Noch gefährlicher. Es ist ein wesentliches Merkmal von Ligaspielen, dass sie tatsächlich häufig durch die vielbeschworenen Kleinigkeiten entschieden werden. Es sind minimale Unterschiede, zwischen den Teams, die sich zwischen Platz 12 und Platz 18 bewegen. Manchmal vollziehen sie sich auch dort, wo Strategie und Handwerk in Zufall übergehen. Also: Ja, Mainz kann 12. werden. Oder 18.
3. Wird Trap schlimm?
Sehr schlimm. Zumindest, was die Rückkehr jener Wortspiele (leere Flaschen usw.) angeht, die nun wirklich selbst der unsensibelste Witzbold seit Jahren nicht mehr benutzen dürfte. Eigentlich. Was den Fußball seines neuen Arbeitgebers VfB Stuttgart betrifft: Das Ligapokalfinale diese Woche hat erwartungsgemäß den Verdacht bestätigt, dass sich der gereifte Defensiv-Stratege Giovanni Trapattoni („Trap“) auf seine goldenen Jahre nicht mehr hin zur Offensive und zum Spektakel öffnen wird. Allerdings muss man sagen: Wenn beim neuen VfB post Mayer-Vorfelder etwas extraordinär funktioniert hat, dann die Defensive. „Als alle von den jungen Wilden schwärmten“, sagte Nationalspieler Andreas Hinkel unlängst, „haben wir vor allem hinten sensationell gestanden.“
Die Klubführung hat mit der Verpflichtung von Trapattoni in Stuttgart die „Stimmungsschieflage korrigiert“ (FAZ). Und zwar enorm. Die Effekte sind wohlgesetzt beim VfB, zuletzt auch der Ankauf des Stürmers Jon Dahl Tomasson vom Weltunternehmen AC Milan. Aber das waren sie auch schon bei den unter großem Jubel punktgenau auf der Anzeigentafel inszenierten langfristigen Weiterverpflichtungen von jungen, identitätsstiftenden Nationalspielern. Was damals nicht auf der Anzeigentafel aufleuchtete, war offenbar ein Vertragsinhalt, der es Kevin Kuranyi ermöglicht, ab dieser Saison für Schalke zu arbeiten.
Womit wir bei der richtig spannenden Frage sind: Wie weit kommt dieses Fußballregionalunternehmen mit den gelernten, aber fußballfremden Machern Erwin Staudt (Ex-IBM-Manager) und Dieter Hundt (Arbeitgeber-Präsident)? Anders gefragt: Wird aus Effekten Nachhaltigkeit? Falls ja, müsste Trapattoni, 66, seinen Siebzigsten auch noch als VfB-Trainer feiern.
4. Wird Arminia Bielefeld abgeschlagen Letzter?
Vgl. dazu Punkt 2.
Wichtig wird auch, vor allem herauszufinden, was es kulturgeschichtlich gesehen bedeutet, dass im Jahr 2005 bei Arminia der erste Bundesligaprofi ever spielt, der wie eine Neil-Young-Platte heißt. Nämlich: Zuma.
5. Schafft der Hamburger SV diesmal den Sprung nach vorn?
Nö.
6. Macht Heribert Bruchhagen, der Vorstandsvorsitzende, aus Eintracht Frankfurt den mittelklassigen Dauer-Bundesligisten, den der Standort hergibt?
Okay, das interessiert einen jetzt weniger.
7. Verbringen Lukas Podolski, Kölns exzeptioneller Heldenfußballer, und Uwe Rapolder, Kölns neuer System- und Antiheldenfußballer-Trainer, ein glückliches Jahr miteinander?
Gut, ein neues Stadion hat inzwischen praktisch jeder – und damit eine bessere Wirtschaftskraft. 25.000 Dauerkarten könnten auch auf eine für den Standort nicht ganz untypische emotionale Überreaktion hindeuten. Aber: Der Star und der Systemtrainer weisen weit über Köln hinaus.
8. Wird Borussia Dortmund seinen Zwangsentzug überstehen und sich vom gigantomanischen Super-Pleitier zum sympathischen, identitätsstiftenden Regio-Lädchen wandeln – wie zuvor der VfB Stuttgart?
Sicher. Und wenn das geschafft ist, holt man Trapattoni.
9. Kehrt der SC Freiburg ein viertes Mal in die Bundesliga zurück?
Und zwar mit dem Trainer Volker Finke? Was passiert, wenn der Klub im Spätherbst in der 2. Liga auf Rang 13 oder so steht? Doch, doch, das ist spannend. Besonders für Freiburg.
10. Ist Wolfsburgs Manager Thomas Strunz womöglich eine Flasche?
Entschuldigung. Und jetzt mal ganz im Ernst:
11. Die neue Bundesligasaison ist einfach die neue Bundesligasaison. Was braucht man da noch mehr sagen? Pfeift an.