berliner szenen: Ganz schön persönlich
Woher kenne ich die Frau? Stammcafé? Nein. Kalt. Supermarkt? Silvesterparty? Fehlanzeige. Sportstudio? Alles nicht. Journalistenschule? Fühlt sich schon wärmer an. Die hat doch so hartnäckig gefragt. Nach dem Gefängnis in Teheran. Auslandskorrespondentin? Nein, kalt. Sie hat was über ihre Eltern erzählt. Die wollten nicht über ihre Geburt sprechen. Was in jeder Familie eine Lieblingsgeschichte ist, haben die immer abgewehrt. So was Persönliches hat die Frau erzählt und mir fällt nicht ein, woher ich sie kenne. Schrecklich. Aber sie hat doch auch mit ihrem Mann gestritten. Wenn er sich wieder in fragwürdige Geschäfte verwickeln lasse, dann wird sie gehen.
Es ist zum Verrücktwerden. Nachdem sie mir das alles erzählt hat, kann ich doch jetzt nicht fragen: „Wer bist du nochmal?“
Außerdem ist sie mit ihrem Begleiter in ein Gespräch vertieft. Unmöglich, über meinen Schatten zu springen und sie anzusprechen. Als sie kurz lacht, platzt der Knoten in meinem verkrampften Hirn. Sie hat mir das alles erzählt, aber außer mir noch Millionen anderen. Sie ist Schauspielerin. Maryam Zaree. Mit ihren Eltern hat sie im Dokumentarfilm darum gerungen, etwas über ihre Geburt in einem iranischen Gefängnis zu erfahren. „Born in Evin“, ein ausgezeichneter Film, der mich lange beschäftigt hat. Und gestritten mit ihrem „Mann“ hat sie im Fernsehen – mit Toni, also Kida Khodr Ramadan als Gangsterboss in der Serie „4 Blocks“.
Und jetzt sitzt sie vor mir im Gorki-Theater und guckt sich das neue Stück von Falk Richter an, „In My Room“. Und jetzt kann ich mich endlich auf das Stück konzentrieren. Die erste Viertelstunde ist über der zwanghaften Grübelei schon vergangen. Aber es bleiben noch zwei Stunden, um zu erleben, wie sehr Söhne ihre Väter vermissen. Claudia Ingenhoven
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